Ulrike Sych: "Ich hoffe, dass alle Frauen Emanzen sind"

Die Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst, Ulrike Sych, unter ihren männlichen Vorgängern.
Die Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst, Ulrike Sych, unter ihren männlichen Vorgängern.(c) Clemens Fabry
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Die Universität für Musik und darstellende Kunst (MDW) in Wien zählt zu den besten weltweit. Seit 2015 ist die Sängerin und Gesangspädagogin Ulrike Sych ihre Rektorin. Dass der Begriff "Quotenfrau" nahezu ein Schimpfwort ist, ärgert sie sehr; von "Krampffeminismus" hält sie gar nichts.

Antidiskriminierung und Gleichbehandlung sind Ihnen seit Beginn Ihrer Karriere ein zentrales Anliegen. Weshalb?

Ulrike Sych: Da muss ich zu meiner Kindheit zurückgehen. Ich habe mich schon als Kind in der Volksschule für ärmere Mitschüler eingesetzt. Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter einmal sehr erschrocken ist, weil ich ein Kind nach der Schule nach Hause mitgenommen und sie gebeten habe, ihm etwas zu essen zu geben und es zu waschen. Ich habe immer schon eine Verantwortung für Antidiskriminierung in mir gespürt.

Was können Sie für die Gleichbehandlung in der Kunst tun?

Man muss schon in der frühen Bildung beginnen. Ein wichtiger Parameter ist die Sprache – und die Frage, wie man mit ihr gendergerecht umgeht. Und ich meine damit nicht das Binnen-I.

Sondern?

Wenn ein Bub etwas Technisches macht, ist das immer toll. Bei Mädchen heißt es im selben Fall: „Super hast du das gemacht, dafür dass du ein Mädchen bist.“ Schon im Vorhinein werden diese Rollenmodelle festgelegt, und die Kinder nehmen das unbewusst auf. Da könnte man schon ansetzen. Aber konkret zur Kunst: Wir haben hier an der Universität für Musik und darstellende Kunst (MDW) Domänen, die sehr männerlastig und welche, die sehr frauenlastig sind.


Welche sind von Männern dominiert?

Dirigieren und Komposition etwa.


Woran liegt das?

Das fragen wir uns auch, denn Frauen komponieren genauso toll wie Männer. Aber schon zur Aufnahmeprüfung kommen viel weniger Frauen als Männer. Darum glaube ich, dass man schon im Kindergarten und in der Schule sensibilisieren muss. Und auch bei uns passiert sehr viel, damit es besser wird.

Zum Beispiel?

Wir können durch den Frauenförderplan Einfluss nehmen. Wir haben darin eine Regelung, die besagt, dass sich bei Berufungen für stark männerdominierte Fächer wie etwa Trompete mindestens drei Frauen beworben haben müssen. Sonst muss die Berufungskommission nachweisen, dass sie sich um Frauen bemüht hat, die den Ausschreibungskriterien entsprechen. Und der Arbeitskreis hat dann die Möglichkeit, zuzustimmen oder mir vorzuschlagen, dass doch neu auszuschreiben ist.

Tut man damit Frauen etwas Gutes? Abstriche bei der Qualität sollte es ja keinesfalls geben.

Danke, dass Sie das ansprechen. Das Wort „Quotenfrau“ ist so falsch in die Bevölkerung hineingetragen worden. Das ärgert mich sehr. Eine Quotenfrau ist eine exzellente Frau. Sie ist eine Frau mit ganz besonderem Können und Expertisen. Denn nur bei gleicher Qualifikation muss man bei Domänen, in denen es mehr Männer gibt, eine Frau nehmen. Das ist aber keine Ungleichbehandlung. Im Gegenteil. Die Quote weist die Exzellenz der Frau auf, denn sie muss erst einmal in die Situation kommen, ex aequo gereiht worden zu sein.

Weshalb ist „Quotenfrau“ heute nahezu ein Schimpfwort?

Das kommt sicher nicht von den Frauen. Auch wenn jemand von „legaler Diskriminierung“ spricht, ist das ein Schwachsinn. Es gibt ja nicht nur den Frauenförderplan, sondern auch denGleichstellungsplan. In der LehrerInnenausbildung gibt es viel zu viele Frauen. Und deshalb haben wir dort Quotenmänner. Das hat Sinn. Wir brauchen eine bessere Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern in den Schulen. Dann würde sich ändern, was jetzt noch unbewusst passiert. Ein Beispiel: Wir hatten vor einiger Zeit den Hilde-Zadek-Gesangswettbewerb im Gläsernen Saal. Und die Moderation hat zu jeder Sängerin erklärt, dass sie gern kocht. Und das Publikum hat das normal gefunden! Es kann doch nicht sein, dass man als Sängerin automatisch mit Kochen konnotiert wird.

Wie ist die Situation an Ihrem Haus?

Nur weil wir die Quote haben, gibt es nicht am nächsten Tag 50 Prozent Frauen. Wir brauchen auch noch ein wenig Geduld, denn die Jobs, die nun von Männern besetzt sind, müssen ja auch erst frei werden. Aber von der Einstellung her hat sich sehr viel verbessert. Ich habe als Vizerektorin hier auch eine Gender-Plattform gegründet.

Was macht diese Gender-Plattform?

Es ging darum zu behandeln, was „Gender“, was „Quote“ ist. Jedes der 24 Institute hat Mitarbeiter entsendet. Und aus dieser Plattform hat sich eine neue Arbeitsgruppe namens Betriebliche Herausforderung: Sexuelle Identitäten entwickelt. Wir sind die einzige Uni, an der sich der Senat selbst darum kümmert. Ich bin ganz überwältigt, wie gut das alles aufgenommen worden ist.

Wie reagieren Sie, wenn Sie von Ungleichbehandlung an der MDW erfahren?

Ich bin sehr streng. Das Haus weiß, dass ich in diesem Bereich null Toleranz habe. Wenn ich von Problemen höre, hole ich die Professoren, die KollegInnen und die Verwaltungsangestellten zu mir herein, und sie haben dann mit mir ein echtes Tacheles-Gespräch.

An vielen Bühnen sind Künstler immer noch mit sehr rauen Umgangsformen konfrontiert.

Ja, die gibt es immer in der Kunst. Denn die Kunst ist etwas sehr Emotionales, man muss sich öffnen und die eigene Seele auf den Tisch legen können. Und da kommt auch oft Gegenemotion zurück. Da kann es zoffen. Aber ich sehe es als unsere Aufgabe, dass wir die KünstlerInnen stärken, selbstbewusst zu sein, damit sie die Rauheit der Arbeitswelt verkraften können. Das ist eine existenzielle Sache.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie als Emanze bezeichnet werden?

Damit kann ich umgehen. Ich hoffe, dass alle Frauen Emanzen sind. Die Zeit, in der wir nicht emanzipiert waren, ist hoffentlich vorbei. Was ich allerdings nicht ertrage, ist ein sogenannter Krampffeminismus.

Was verstehen Sie unter Krampffeminismus?

Dass Frauen wenig sprechen, wenig diskutieren und unreflektiert gegen Männer schießen. Dagegen bin ich. Denn diese Kolleginnen machen uns jene Politik kaputt, die wir vertreten. Sie bauen die Fronten auf. Das ist schade, denn mit Reden erreicht man viel.

Finden Sie, dass jede Frau die Verpflichtung hat, sich für Frauen einzusetzen?

Das ist auch so ein Punkt: Nur weil wir Frauen sind, müssen wir jetzt automatisch alle Frauen fördern? Von den Männern wird das auch nicht verlangt! Das ist auch so eine Sache, die uns so zugetragen wird. Wenn die Illoyalität der Frauen herausgekehrt wird, finde ich das unerhört. Ich war im Laufe meines Berufslebens in zahllosen Berufungskommissionen. Ich kann Ihnen garantieren, es gibt Männer, die keine Männer unterstützen. Aber das ist nie das Thema! Ich kenne sehr viele Frauen, die Frauen helfen. Und ich kenne sehr viele Frauen, die Menschen helfen. So eine Person bin ich. Ich bin keine Frauenförderin, sondern eine Gleichbehandlerin.

Wurden Sie in Ihrer Laufbahn unfair behandelt?

Ich wurde beruflich nie hintangestellt, weil ich Frau war. Ich hatte auch Chefs, die mich gefördert haben. Aber ich wurde zweimal sexuell belästigt. Und das ist immer so ausgegangen, dass diese Person, von der ich abhängig war, eine Ohrfeige bekommen hat.

Sehr souverän.

Ja, der eine war ein Professor. Der hat bei der Prüfung in seinem Büro seine Hände nicht im Griff gehabt, sagen wir es mal so.

Wie ist die Prüfung nach der Ohrfeige weitergegangen?

Gut, denn ich habe ihm gesagt, ich würde eine kommissionelle Prüfung beantragen, wenn er sich nicht sofort weit genug von mir wegsetzt. Ja, das ist mir als Frau passiert. Aber ich weiß aus der AbsolventInnen-Studie, dass Künstlerinnen, aber auch Künstler, auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor mit Belästigungen stark konfrontiert sind. Aber auch hier versuchen wir, viel zu tun.

Und was tun Sie?

Wir unterstützen die Studentinnen und Studenten, dass sie stark sind, wenn so etwas passieren sollte. Ein Nein ist ein Nein! Das fängt schon im Unterricht an. Ein Kunstunterricht impliziert, dass man die Studierenden anfassen muss. Aber die Lehrkräfte fragen immer, ob sie das dürfen. Und wenn jemand nicht berührt werden will, muss das akzeptiert werden. ?

Steckbrief

Ulrike Sych
ist Sängerin, Gesangspädagogin und seit2015 Rektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst (MDW).

Der MDW gehört sie seit 1990 als Lehrende an. Ab 2007 wirkte sie auch an der Anton-Bruckner-Privatuniversität. Dort leitete sie das Institut für Gesang und Musiktheater.

Antidiskriminierung und Gleichbehandlung sind für Ulrike Sych seit Beginn ihrer beruflichen Karriere zentrale Themen. An beiden Universitäten leitete sie den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen. An der MDW rief sie eine Gender-Plattform ins Leben.

Und darf man Sie auch fragen ...

1. . . ob Sie es bereuen, Gesang nicht zu Ihrem Hauptberuf gemacht zu haben?
Nein, ich bin froh, dass sich alles so entwickelt hat. Ich habe mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun. Das hätte ich als Sängerin nicht, ich müsste von einem Hotel ins andere fliegen und darauf achten, dass meine Stimme in Ordnung ist.
2. . . ob das Älterwerden für Sie schwierig ist?
Nein, mir geht es gut damit. Ich blicke auf ein gutes, erfülltes Leben zurück. Auch im Privaten, obwohl ich eine Scheidung hinter mir habe. Aber seit einem Jahr bin ich mit meinem Glücksmenschen verheiratet und führe das schönste Leben, das man sich vorstellen kann.
3. . . ob Sie sich gern verändern?
Ich habe keine Angst vor Krisen und Veränderungen. Ich hatte auch elf verschiedene Gesangslehrer. Immer wenn ich das Gefühl hatte anzustehen, habe ich gewechselt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2017)

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