Anna Stiepani: Zeit für Veränderung

Glück. Sterne anschauen und aufs bayrische Gemüt vertrauen, sagt Regisseurin Anna Stiepani.
Glück. Sterne anschauen und aufs bayrische Gemüt vertrauen, sagt Regisseurin Anna Stiepani.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Liebe und Emotionen sind ihr wichtig. Anna Stiepani inszeniert im Burg-Vestibül „Beben“ von Maria Milisavljevic.

Niemals! Sagt die Regisseurin Anna Stiepani auf die Frage, ob sie dem Mörder ihres Sohnes die Hand reichen würde. Und doch passiert genau das in „Beben" von Maria Milisavljevic, einem Stück, das Stiepani am 25. Jänner im Vestibül des Burgtheaters herausbringt. „Drei Geschichten sind hier miteinander verwoben", erläutert die Regisseurin: „Der erste Strang erzählt von einer Mutter, die auf den Soldaten trifft, der ihr Kind erschossen hat. Sie möchte, dass er ihre Hand nimmt. Für ihn ist das nicht nachvollziehbar. Später erfahren wir, dass sie es tut, um ihn nicht zu hassen. Der zweite Strang des Stücks zeigt einen Mann, der an der Kante von Ulro sitzt. Das Land Ulro geht auf den englischen Dichter William Blake zurück und ist eine Art Hölle auf Erden. Es gibt nur die materialistische Welt, nur mehr die Vernunft, nichts Kreatives mehr. Im dritten Teil des Dramas sehen wir Personen, die in ihren virtuellen Welten leben und sich mit Computerspielen ablenken. Doch eines Tages hören sie ein Dröhnen, das zum Beben führt, und finden sich mitten in einem realen Krieg wieder."

Ambivalente Erfahrungen. Stiepani wurde 1989 in Passau geboren. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien. Obwohl sie sich früh für Literatur- und Geisteswissenschaften interessierte, war die Bekanntschaft mit Bildung und Bühne eine ambivalente Angelegenheit. Gern erinnert sie sich an den „Froschkönig", den sie auf den Schultern des Vaters erlebte. Dann kam das Krippenspiel, und obwohl sie die begehrte Traumrolle der Maria spielte, war sie nicht glücklich. Besonders schlimm war es, als sie einen Hirten mit Lammweste und Strohballen zu verkörpern hatte: „Ich habe mich unfassbar geschämt, vorn zu stehen und zu singen!" „Schauderhaft" fand sie dann schlussendlich mit 16 oder 17  Jahren eine Aufführung von „Minna von Barnhelm". Allerdings sah sie im Stadttheater von Passau, „Europas kleinstem Opernhaus", auch viele moderne und klassische Produktionen, die sie spannend fand. Der Theaterklub des Passauer Theaters brachte sie mit der Praxis in Berührung.

Von da an ging es steil bergauf mit der Liebe zur Bühnenkunst. Bei Klaus Maria Brandauer hospitierte sie, als dieser Wagners „Lohengrin" in Köln inszenierte. Regieassistenzen brachten sie mit vielen wichtigen Regisseuren in Kontakt, darunter Leander Haußmann, Stefan Bachmann oder David Bösch. Besondere Bedeutung hatten Johan Simons und Peter Konwitschny für sie. Bei Konwitschny hatte sie ein Seminar im Studium: „An ,Freischütz‘ oder ,Macbeth‘ ging er nicht textanalytisch heran, sondern rein über die Musik und das Gefühl, was mir sehr entgegenkommt."

An Simons, den sie als Intendanten der Münchner Kammerspiele erlebte, schätzte sie neben seinen Inszenierungen seinen Führungsstil: „Er schafft es, im Probenprozess das Ensemble zu begeistern, die Hierarchie flach zu halten, und in stressigen Situationen gibt er das Steuer nicht aus der Hand", erinnert sie sich. Regieassistenten sind oft der Prellbock für alle Probleme, sie stehen zwischen dem Ensemble und dem Regisseur: „Ja, das stimmt. Aber es ist trotzdem ein total schöner Beruf. Man muss der Fels in der Brandung sein. Wenn alle die Nerven wegschmeißen, sollte man ruhig bleiben." Viele machen Yoga. „Mir ist Spinning lieber", meint Stiepani: „Ich habe Yoga probiert, aber das ist nichts für mich. Ich kann mich auf mein bayrisches Gemüt verlassen. Ich bin der glücklichste Mensch, wenn ich in meiner kleinen Wohnung im siebten Bezirk auf dem Balkon sitze und die Sterne anschauen kann."

Poesie und Musikalität. Seit 2015 war sie fix am Burgtheater engagiert, jetzt ist es bald Zeit für Veränderung, findet sie, weniger, weil mit Martin Kušej im Herbst ein neuer Direktor kommt, sondern weil, wie sie findet, die Zeit der Regieassistenzen für sie vorbei ist. Ob sie ihre Karriere als Regisseurin ausbauen will oder reisen, das weiß sie noch nicht. Was ist typisch für die Generation der heute 20- bis 30-Jährigen? „Vielleicht eine gewisse Einsamkeit und eine Suche nach etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist. Wir lassen uns nicht mehr festlegen. Wir müssen uns in einer neuen Art des Lebens zurechtfinden. Zum Beispiel, wie wir mit der Flut der neuen Medien umgehen." In ihrer Schulzeit hatte noch keiner ein Smartphone: „Bei der Abiturfeier holte dann einer so ein Ding aus der Tasche, es war riesig! Er erklärte mir, das ist ein iPhone, mit dem kann man ins Internet gehen. Ich dachte: Wozu soll das gut sein?"

Anders als Film berührt einen Theater heute nur selten, woran liegt das? Stiepani: „Es gab schon Inszenierungen, aus denen ich sehr erschüttert hinausgegangen bin, zum Beispiel Stefan Bachmanns Akademietheater-Inszenierung von Wajdi Mouawads ,Verbrennungen‘ über den Bürgerkrieg im Libanon", meint Stiepani: „Diese Aufführung hat Herz und Kopf getroffen. In Salzburg hat Sandy Lopičić Kafkas ,Schloss‘ herausgebracht. Das hat mich nachhaltig beeinflusst. Diese Poesie, diese Musikalität, diese Liebe zum Theater! Einen emotionalen Zugang zu Stücken zu finden, das ist schon mein Thema. Darum habe ich mir auch ,Beben‘ ausgesucht, weil dieses Stück eine Vision von Liebe entwirft. Eine andere Möglichkeit zu überleben haben wir gar nicht."

Klassiker werden immer weniger gespielt. Fehlen sie? „,Ich finde, Klassiker gehören zum Spielplan wie moderne Stücke oder Gegenwartsdramatik. ,König Ödipus‘ würde ich gern mal wieder sehen." Wird Stiepani mal selber eine Starregisseurin sein? Sie lacht: „Klar will ich das. Aber jetzt freue ich mich mal, dass ich am Burgtheater inszenieren kann, wo die Schauspieler, die Technik und einfach alles toll sind." Was will sie nicht mehr machen? „Ich reise gern. Aber letztes Jahr zum Beispiel war ich beruflich und privat sehr viel unterwegs, da war ich richtig froh, als ich wieder in Wien war. Ich bin materiell nicht anspruchsvoll. Ich brauch’ kein Fünf-Sterne-Menü. Aber Leben aus dem Koffer oder wochenlang auf dem Boden übernachten, auch so ein WG-Leben, das möchte ich nicht mehr."

Tipp

„Beben". Das Stück von Maria Milisavljevic hat am 25. 1. im Vestibül des Burgtheaters Premiere. Mit Daniel Jesch, Marta Kizyma, Valentin Postlmayr, Martin Vischer.

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