Kochen für die Revolution

Das berühmte Foto mit Ingrid von 1969, das im Buch wohl nicht zufällig fehlt. Die Männer waren zwar „ihr Tor zur Welt“, aber Ingrid Wiener, damals noch Schuppan, scheint sich durch dieses sehr frei hinein- und hinausbewegt zu haben.
Das berühmte Foto mit Ingrid von 1969, das im Buch wohl nicht zufällig fehlt. Die Männer waren zwar „ihr Tor zur Welt“, aber Ingrid Wiener, damals noch Schuppan, scheint sich durch dieses sehr frei hinein- und hinausbewegt zu haben. (c) Christian Skrein / Imagno / pict (Christian Skrein)
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Die Journalistin Carolin Würfel hat die erste Biografie der Ingrid Wiener geschrieben, legendäre Köchin und Künstlerin der Avantgarde.

Es ist ein ikonisches Foto der Wiener Avantgarde, das Feministinnen regelmäßig auf die Palme bringt: Man sieht eine Gruppe heute berühmter Künstler von Attersee bis Pichler, bezeichnet mit Nachnamen. Und ein schönes Mädchen: „Ingrid“. Das Foto schoß Christian Skrein 1968; es ist wohl kein Zufall, dass genau dieses Foto, das die Rolle von Ingrid Schuppan, später Wiener, so zementiert hat, in dem Buch fehlt, das erstmals allein ihr gewidmet ist.

Also, nicht ganz. Auf dem Cover prangt ein Ausschnitt daraus, nur das Gesicht samt verhangenem Schlafzimmerblick dieser legendären, 1942 in Wien geborenen Köchin, Künstlerin und Gefährtin. Die berühmten Männer links und rechts – weggeschnitten. Das ist allerdings schon die radikalste feministische Ansage, die Carolin Würfel, der jungen „Zeit“-Autorin, die das Leben der Ingrid Wiener aufgezeichnet bzw. eher skizziert hat, hier auskommt.

Was wohl auch mit Wiener selbst zu tun hat, darin typische Vertreterin ihrer Generation, die sich damals sehr wohl emanzipiert gefühlt hat und dafür heute mit Unverständnis gestraft wird. Ein Muster, das man etwa bei den Modellen des Wiener Aktionismus beobachten kann, die – wie Ingrid Wiener bei den „literarischen cabarets“ der Wiener Gruppe – zwar nie federführend waren, aber allein durch ihre Teilnahme schon das Maximum an Auflehnung ausgereizt sahen. „Die Männer waren ihre Tür zur Welt“, wie Würfel es beschreibt.

Nur hin und wieder stößt man auf Wieners sehr nüchterne, pragmatische Einstellung zu ihrer Rolle in dieser Zeit. Etwa: „Die Frauen haben gearbeitet, die Männer waren eben Künstler.“ So sah das Duo Infernal dieser Zeit aus: Die Frauen brachten das Geld, ihre Männer veränderten die (Kunst-)Welt. Wiener kochte, aber nicht nur. Sie erfand dabei die Kategorie Künstlerlokal in Berlin (Exil, Ax Bax), wohin sie mit Oswald Wiener nach der „Uni-Ferkelei“ 1969 geflüchtet war. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte sie das Kochen als Kunstform erfunden, wie es später andere taten. Als Wieners Kunst bezeichnet Würfel aber das Weben, das sie gemeinsam mit Valie Export einst in Wien gelernt hat, das sie am Anfang für Hundertwassers Tapisserien ausgeführt hat, dann in Kooperation mit Dieter Roth und schließlich auch völlig allein – ihre Bildteppiche, in denen sie Alltagsgegenstände mit der Ewigkeit verspinnt, sind in Ausstellungen und Galerien (in Wien Charim) auf der ganzen Welt zu sehen.

Die Gegenstimmen fehlen

Auch Carolin Würfel traf bei einer Ausstellung auf Ingrid Wiener, besuchte sie dann über Jahre im gemeinsamen Haus mit Oswald in der Steiermark. Entstanden ist ein schmales Buch, das sich sehr gut liest, sehr persönlich ist, auch schockiert mit einer von Wiener selbst beschriebenen Vergewaltigung in Berlin. Es rankt sich mehr um die Person, die, wie Würfel betont, nie alles von sich hergeben wollte, die immer „eine Distanz“ gewahrt hat. Dem versucht Würfel mit Anekdotischem zu begegnen. Manchmal würde man sich mehr Tiefe in Richtung Kunst oder mehr Stimmen erhoffen, die der Erzählung Wieners etwas entgegnen, von den Stiefkindern (darunter TV-Köchin Sarah Wiener) vielleicht, von Wieners Exfrau, die ebenfalls Künstlerin in dieser Zeit war und heute noch ist, Lore Heuermann, und namentlich nicht einmal vorkommt.

Am Ende rettet Würfel sich: Wiener wollte, dass das Buch unterhaltsam sei, „lustig“. Das ist es. Eine spannende Geschichte, die man nicht vergisst, auch wenn man sie nächtens gehört hat. Bei einem guten Glas österreichischen Weins, in einer Berliner Bar.

ZUR PERSON

Ingrid Wiener (*1942, Wien) kam früh mit der Wiener Gruppe in Kontakt, heiratete Oswald Wiener. 1969 gingen sie nach Berlin, wo sie bis 1984 das „Exil“ (heute Horvath) betrieben. Seit den Sechzigern webt sie Bilder, die international ausgestellt werden. Sie lebte lang in Kanada, jetzt in der Steiermark.

Das Buch erschien im Verlag Hanser Berlin (192 Seiten, 22 Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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