Kastaniensammlerleben

(c) Carolina Frank
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„Also, in meinen Taschen hat echt nichts mehr Platz", sagt der Jüngste, und vor lauter Gewicht hängt ihm die Jacke bis in die Kniekehlen hinunter.

„Also, in meinen Taschen hat echt nichts mehr Platz", sagt der Jüngste, und vor lauter Gewicht hängt ihm die Jacke bis in die Kniekehlen hinunter. Dabei hat unser Kastaniensammelausflug heute gar nicht vielversprechend begonnen. Die Wiese unter unseren beiden Stammkastanienbäumen ist völlig leer geräumt. „Schaut so aus, als wäre eine Kindergartengruppe da gewesen", sage ich zu meinem Sohn, während wir die stacheligen Schalen umdrehen, um zu schauen, ob sich nicht doch noch etwas darunter versteckt. Doch das ist eine der vielen feinen Seiten am Kastaniensammeln (Sie merken schon, das wird eine sehr, sehr langsame Herbstkolumne): Eigentlich ist es egal, ob man welche findet oder nicht. Ganz im Gegensatz zum Sammeln aller wild wachsenden essbaren Herbstfrüchte, wie ein Blick zum gegenüberliegenden Walnussbaum zeigt. Kaum sind die Nüsse reif, setzt dort so etwas wie ein Run ein, wie immer und überall, wenn es etwas gratis gibt. Im besten Fall sind es nur ein paar Menschen gleichzeitig, die versuchen, Haltung zu bewahren und nicht zu hastig die paar Walnüsse aufzuklauben, die ihnen vor die Füße ­fallen. Im schlechteren und gar nicht seltenen Fall wird aber versucht, die noch teils unreifen Nüsse vom Baum zu schütteln oder mit Stöcken zu schießen und plastiksäckeweise nach Hause zu tragen. In meinem Kastaniensammlerleben ist mir dagegen noch nie so etwas wie Hektik begegnet. Aber das liegt wahrscheinlich auch an der beruhigenden Wirkung von frischen, glatten, schweren Kastanien auf den Handflächen. Als wir schon mit ein paar verschrumpelten Restexemplaren den Heimweg antreten wollen, beginnt der Wind aufzufrischen – und es regnet Kastanien. Reiche Ernte also und ausgebeulte Taschen. So kann der Herbst ruhig kommen.

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