Die Postkarte als Brücke: Erinnerung an 15.000 Kinder

Eine der insgesamt mehr als 16.000 Postkarten, die von Montag bis Mittwoch in der Volkshalle im Rathaus ausgestellt werden.
Eine der insgesamt mehr als 16.000 Postkarten, die von Montag bis Mittwoch in der Volkshalle im Rathaus ausgestellt werden.Never forget why?
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Tausende Menschen haben sich auf Initiative der Historikerin Anna Wexberg-Kubesch mit den Kindern von Theresienstadt befasst – sogar in Japan.

Die Postkarte ist als Medium interessanter, als man vielleicht im ersten Moment glaubt. Sie reiche für die wesentlichsten Dinge im Leben eigentlich aus, sagt Anna Wexberg-Kubesch. Sie zwinge gleichzeitig dazu, die Essenz dessen festzuhalten, was einem wichtig ist. Und sie schaffe stets einen Bezug zwischen zwei Menschen, zwei Orten: Die Postkarte stellt so eine Brücke dar, eine Verbindung.

Tausende Male ist eine solche Verbindung mit dem Erinnerungsprojekt „Never forget why?“ entstanden, das kommende Woche im Wiener Rathaus zu sehen ist. Wexberg-Kubesch hat dafür mehr als 16.000 Postkarten produziert, aus einem Material, das an die Aktendeckel der NS-Zeit erinnert. Und sie hat Menschen gebeten, diese Karten in Erinnerung an die rund 15.000 Kinder zu gestalten, die von den Nationalsozialisten in Theresienstadt interniert worden waren – und von denen nur etwa 150 überlebten.

Ein ganz persönlicher Zugang

„Die Kinder erfahren in der Aufarbeitung der Shoah und ihrer Opfer sehr wenig Aufmerksamkeit“, sagt die Wiener Historikerin und Psychotherapeutin, die etwa zu dem Kindertransport nach England publiziert hat, der rund 10.000 jüdischen Kindern das Leben rettete. Dass sie zu den Kindern von Theresienstadt kein Buch gemacht hat, sondern eben das Postkartenprojekt, erklärt sie damit, dass es ihr nicht nur um Information gegangen sei – sondern darum, dass sich Menschen auf ihre Art und Weise mit der Geschichte dieser Kinder beschäftigen.

„Mir erscheint es zeitgemäß, dass man nicht verordnet, wie Erinnerung und Auseinandersetzung mit der Geschichte stattzufinden hat“, sagt sie. „Dass nicht eine bestimmte Form oder bestimmte Gefühle oder ein bestimmtes Verhalten verordnet werden, sondern dass Menschen jeder Altersgruppe in ihrer persönlichen Situation einen Zugang finden zu Shoah, Theresienstadt, Krieg, Frieden, Flucht.“

Nachdem sie jede Postkarte – auch als Symbol für die „Schreibtischtäter“ hinter der NS-Tötungsmaschinerie – händisch mit den Begriffen „Never“, „Forget“ oder „Why?“ bestempelt hatte, gab Wexberg-Kubesch im Juli 2014 die erste Karte aus der Hand. Sie verteilte Postkarten bei Veranstaltungen mit Schulen und Universitäten, bei Kongressen und Stadtspaziergängen, bei denen sie über Erinnerungskultur und Theresienstadt sprach, und an Menschen, die sie weiterverteilten. Stets mit dem Auftrag, das darauf zu schreiben, was Eindruck hinterlassen habe. Und mit der zentralen Bitte, die Karten wieder zurückzubekommen.

„Ich war über jede Karte froh“, sagt sie über die ersten Monate. Insgesamt 16.338 Postkarten – aus Österreich, Deutschland, den USA, sogar aus Japan, wo eine Österreicherin mit Studenten zu Hiroshima und Theresienstadt arbeitete – hat Wexberg-Kubesch seitdem geschickt bekommen: mit Gedanken, mit persönlichen Erinnerungen, mit Fotos und Zeichnungen, mit Stacheldraht. Die 1338 Postkarten, die über die 15.000 hinausgehen, sind den Kindern gewidmet, die aus dem polnischen Białystok deportiert wurden.

Jede Karte steht für ein Kind

Das Sortieren der Karten, das Kategorisieren habe sie dabei durchaus aufgewühlt, sagt Wexberg-Kubesch: „Jede Karte steht für ein Kind – und dann ist jede Karte auch ein Menschenleben.“ Jede einzelne hat sie digitalisiert, im Dezember hat sie zu Hause eine Postkarte nach der anderen auf Spagat aufgefädelt. So werden sie in einer Installation im Wiener Rathaus ausgestellt.

Das ist ein symbolischer Ort, wie Wexberg-Kubesch meint: Denn als damals Tausende Kinder von Wien nach Theresienstadt deportiert wurden, tat die Stadt nichts, um sie zu schützen. Auch hier bilden die Postkarten wieder eine Brücke – zwischen der Vergangenheit der Stadt und ihrer Verantwortung in der Zukunft.

ZUR PERSON

Anna Wexberg-Kubesch ist die Initiatorin des Erinnerungsprojekts „Never forget why?“, das in der Volkshalle im Wiener Rathaus ausgestellt wird (Mo, Di 9–18 Uhr, Mi 9–12 Uhr). Es widmet sich den rund 15.000 Kindern, die von den Nationalsozialisten nach Theresienstadt deportiert wurden und dort starben oder später in Konzentrationslagern ermordet wurden. Die Historikerin hat dafür Postkarten anfertigen lassen, die Menschen in Erinnerung an diese Kinder gestaltet haben. Diese Karten sind auch online zu sehen unter: neverforgetwhy15000.at. [ Gabriele Paar]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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