Die vielen Leben der anderen

Hubert Gaisbauer beim Interview im Wiener Cafe Ansari.
Hubert Gaisbauer beim Interview im Wiener Cafe Ansari.(c) Valerie Voithofer
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Die Ö1-„Menschenbilder“ werden 35 Jahre alt. Erfunden hat sie Hubert Gaisbauer, ein Pionier des ORF–Radios und leidenschaftlicher Erzähler.

Sonntagnachmittag um 14 Uhr kann man sich eine Stunde im Lebenswerk anderer verlieren. Seit 35 Jahren ist sonntags auf Ö1 die Sendung „Menschenbilder“ zu hören – eine Radiostunde, die einen fast immer berührt. Es hat etwas Tröstliches, vom gelungenen Leben anderer mit all den Brüchen und Krisen zu hören. Erfunden hat die Reihe einer der Pioniere des ORF-Radios: Hubert Gaisbauer.

Auch die „Musicbox“ auf Ö3 hat er miterfunden, obwohl fast immer nur die Rede von André Heller ist, dabei war der schon bald wieder weg vom Radio. Hubert Gaisbauer war schon immer eher zurückhaltend, fast bescheiden. Auch heute, mit 80 und zwanzig Jahre im ORF-Ruhestand, sagt er: „Eine Sendung wie die ,Menschenbilder‘ zu erfinden, ist keine Leistung. Denn eigentlich liegt es auf der Hand, so etwas für das Radio zu machen.“ Und doch ist die Reihe eine der ältesten im Ö1-Programm und feiert mittlerweile 35. Geburtstag. So wie das Radio-Feuilleton „Diagonal“, das fast zeitgleich Wolfgang Kos erfand.

Gaisbauer hat die Sendung 1984 unter Radiochef Ernst Grissemann erdacht, selbst aber nur an die „zwei Dutzend“ der insgesamt gut 1800 Sendungen gemacht, erinnert er sich. Erzählt wurden stets abwechselnd die Lebensgeschichten von berühmten und ganz normalen Persönlichkeiten, so handelte eine der ersten Sendungen von einer Bergbäuerin. Sehr oft ging es um Menschen, die 1938 emigrieren mussten, „früher kamen dann die anonymen Postkarten, auf denen stand, warum wir schon wieder die Judengeschichten brachten“, erinnert sich Gaisbauer. Eine Konstante seit 35 Jahren ist auch die Erzählerin: Alle Beiträge spricht Sandra Kreisler.

Fremdenführer im Stephansdom

Zum Radio kam Gaisbauer, wie es damals oft passierte, durch Zufall. Er verdiente sich im Germanistik- und Literaturstudium sein Taschengeld als Fremdenführer im Stephansdom und musste eines Tages einem Radioteam Auskunft geben, kam mit den Herrschaften ins Gespräch, „und dann habe ich mich denen angedient. Einen Monat später hab ich beim Schulfunk begonnen.“ Der produzierte Sendungen für den Schulunterricht. Mit der ORF-Reform von Gerd Bacher 1967 wechselte Gaisbauer in den ORF und entwickelte neue Sendungen mit Leidenschaft, die „Menschenbilder“ sollten eine Erzählsendung sein. Das sind sie bis heute; und bisher kam auch noch niemand auf die Idee, die 55 Minuten lange Sendung zu kürzen.

Mit der Pensionierung 1999 zog es den dreifachen Familienvater Gaisbauer weg aus Wien nach Krems, in die Heimat seiner Frau und zur Kunst. Später in seiner Ö1-Karriere leitete er die Abteilung Religion. In der Pension schrieb er zuerst Bücher über Papst Johannes XXIII., später Kinderbücher für seine vier Enkeltöchter und widmete sich seiner Leidenschaft, der Kunst. Zum 80er schenkte er sich einen Geschichtensammelband. „Schonungslos zärtlich“ versammelt unterschiedlichste Texte von ihm, auch von einigen seiner „Menschenbilder“, etwa jenen über die Malerin Marie-Louise von Motesiczky. Gaisbauer ist immer noch treuer Ö1-Hörer („Ich höre ausschließlich Ö1“), es gibt längst ein „Menschenbild“ über ihn, das am 20. Mai erneut ausgestrahlt wird. Er betont, er habe der Redaktion in 20 Jahren keinen Vorschlag für die Sendung unterbreitet, „ich mische mich da nicht ein“. Womit er sich aber nicht anfreunden konnte, sind die neuen Kennmelodien aller Ö1-Sendungen. „Ich war stinkwütend, dass sie auch die Melodie der ,Menschenbilder‘ geändert haben. An die neue will ich mich nicht gewöhnen.“

Termin: Zum 35. Geburtstag der Ö1-Reihe „Menschenbilder“ diskutieren Hubert Gaisbauer, Monika Sommer (Haus der Geschichte), Autorin und Journalistin Anna Goldenberg sowie Petra Herczeg, Heinz Janisch und Rainer Rosenberg, die seit vielen Jahren Porträts für die Reihe gestalten. Moderation: Johann Kneihs. Do, 2. Mai, 19 h, Radiokulturhaus, Tickets: www.radiokulturhaus.at

ZUR PERSON

Hubert Gaisbauer (*1939 in Linz) war ab 1967 einer der Mitbegründer der ORF-Radioprogramme Ö1 und Ö3. Er entwickelte u. a. die Sendungen „Menschenbilder“ und die Ö3-„Musicbox“ und war jahrelang Leiter der Jugend- und Gesellschaftsabteilung und bis zu seiner Pensionierung 1999 der Religion.

Soeben erschienen ist sein neues Buch „Schonungslos zärtlich“ (Tyrolia, 24,95 €).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2019)

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