Animal Spirits

Wie die Tiere: Lernen von der Natur

Ameisen haben flache Hierarchien, wissen aber intuitiv, wie sie gemeinsam in einer sehr großen Gruppe funktionieren.
Ameisen haben flache Hierarchien, wissen aber intuitiv, wie sie gemeinsam in einer sehr großen Gruppe funktionieren.Getty Images
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Der Journalist und Autor Oliver Tanzer geht in seinem jüngsten Buch der Frage nach, was Wirtschaft und Gesellschaft von der Natur lernen können.

Fleißig wie die Ameisen – oder auch die Bienen. Kämpferisch wie ein Löwe und brutal wie eine Hyäne. Wir haben viele Bilder zu bestimmten Tieren im Kopf, die gesellschaftlich verankert sind. Wobei das mehr darüber aussagt, wie wir die Tiere sehen, als wie sie wirklich sind.

In jüngster Zeit besteht aber ein wachsendes Interesse dafür, jene Geheimnisse der Natur zu entdecken, die wir so noch nicht kennen. Der „Furche“-Journalist und Sachbuchautor Oliver Tanzer hat mit „Animal Spirits“ ein Buch vorgelegt, das das gestiegene Interesse an der Natur in einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext einbettet – ein Peter Wohlleben für die Ökonomie, wenn man so will. Wobei Tanzer nicht nur die Entstehung unserer vorherrschenden Sicht der Wirtschaft bis hin zum aristotelischen Prinzip der Herrschaft und Hierarchie thematisiert, sondern auch mit einem Blick ins Tierreich andere Zugänge darlegt, die sehr gut zum Zeitgeist passen. Und dabei bisher eher wenige betrachtete Seiten des Tierreichs darlegt.

Etwa, dass gerade sehr große Systeme, wie bei den Ameisen, besonders gut ohne hierarchische, sondern mit flachen Strukturen funktionieren. „Da sind vier Millionen Ameisen in einem Staat mit extrem flachen Strukturen, niemand befiehlt, aber es funktioniert, weil sie das in ihrer Intuition haben. Meine Behauptung ist, dass auch in uns eine Intuition schlummert, die wir erst freilegen müssen“, sagt Tanzer im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.


Übersättigte Gesellschaft. Wobei es ihm dabei nicht um eine komplette Änderung des Systems geht, sondern vielmehr um das berühmte „Ja, aber“. Also Wachstum, aber nicht um jeden Preis und nicht nur um des Wachstums willen. „Wir müssen aufhören, einfach nur immer mehr zu produzieren, sondern anders produzieren.“ Unser System basiere noch immer auf jenem einer Mangelgesellschaft, die es aber seit den 1950er-Jahren nicht mehr gibt. Viel eher sei eine Marktsättigung erreicht, die mit einem „Immer mehr“ und auch einem stets wachsenden Narzissmus, der das System stütze, zu kompensieren versucht wird. „Das System sagt nicht mehr ,Kauf!‘, sondern ,Wenn du das kaufst, bist du ein besserer Mensch‘“, meint Tanzer. Das mache uns aber nicht glücklich. Er plädiert deshalb dafür, sich weg von der Egozentrik hin zur Gemeinschaft und von einem „Immer schneller“ hin zu Nachdenkpausen und Entschleunigung zu bewegen. Womit er natürlich nicht der Erste ist, allerdings untermauert mit Beispielen aus dem Tierreich.

Wölfe zum Beispiel. Für uns gelten sie als Paradetiere der Dominanz und der Unterwerfung. Aber das sind sie eben nicht nur – oder nicht immer. Das begrenze sich auf die Zeit des Jagens und der Paarung. „Die spielen die ganze Zeit miteinander, Alt und Jung, und dabei entsteht etwas. Man kann im Austausch miteinander, wenn man Hierarchien rausnimmt, viel besser Ideen entwickeln. Wenn man Freiraum im Kopf schafft, hat man mehr Ideen“, sagt Tanzer. Oder eben die Ameisen, bei denen man gern annimmt, dass sie alle gleich sind und hierarchisch organisiert zusammenleben – ähnlich wie die Bienen. Allerdings hat die Bienenkönigin keine Regentschaft, sondern schlicht eine wichtige Funktion, wie allerdings andere Bienen auch. (Dass lang in der Geschichte übrigens von einem Bienenkönig statt einem weiblichem Tier die Rede war, sagt ebenfalls mehr über uns als über Bienen aus). Und ähnlich wie bei den Ameisen sind es auch bei den Bienen recht flache Hierarchien, die das Zusammenleben beherrschen. Hierarchien funktionieren im Tierreich nur in sehr kleinen, familiären Strukturen, erklärt Tanzer. „Hierarchien entfallen dort, wo mehr als hundert Mitglieder zu koordinieren sind. Je größer die Struktur, desto flacher ist die Hierarchie.“


Egoistische Fledermäuse. Was Tanzer im Tierreich allerdings kaum beobachtet hat, ist Narzissmus. Im Gegenteil, das dürfte eine recht menschliche Spezialität sein. Wobei Tanzer nicht davon ausgeht, dass wir das von Grund auf sind, sondern vom System, das immer mehr Wachstum fordert, dazu gemacht werden. „Das System braucht Individualisierung, und die beste Individualisierung, die es haben kann in einem Betrieb, sind rücksichtslose Manager.“

Dabei könnte sich der Mensch in Sachen Narzissmus einiges von den Fledermäusen abschauen. Bei ihnen ist es üblich, dass nicht nur die eigenen Jungen, sondern auch die der Nachbarn gefüttert werden, die es schlechter erwischt haben. Das kommt auch zurück und erhöht die Wahrscheinlichkeit zu überleben enorm. Es gibt allerdings auch unter den Fledermäusen Egoisten, die sich weigern, andere zu füttern. Solche Exemplare gehen dann zwar leer aus, werden in der Gruppe aber weder gescholten noch ausgeschlossen. Tanzer vergleicht dieses Ignorieren der egoistischen Fledermäuse gern mit Nudging, also dem Anstupsen zu einem erwünschten Verhalten.

Damit das auch beim Menschen funktioniert, schlägt er Selbst-Nudging vor, indem man sein Handeln hinterfragt. Etwa, ob man seinen (Arbeits-)Tag ähnlich verbringen würde, wenn man nicht dafür bezahlt würde, und mit wie vielen Menschen man außerhalb des Arbeitsalltags gesprochen hat. Solche Fragen stellt sich zwar wohl kaum ein Tier, aber sie helfen dem Menschen, zu dem vorzudringen, was abseits der Verpflichtungen – und des Systems, wenn man so will – in uns ist.

Buch-Tipp

Oliver Tanzer, Jahrgang 1967, ist Leiter des Ressorts Wirtschaft der Wochenzeitung „Die Furche“ und Autor mehrerer Sachbücher. Er lebt in einem 400 Jahre alten Haus am Land.

„Animal Spirits
Wie uns Fledermäuse, Pantoffeltierchen und Bonobos aus der Krise helfen“ Molden Verlag, 248 Seiten, 24 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2019)

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