Peter Lindbergh: „Die Welt ist sehr einfach“

Glamour, Retusche und Perfektion interessieren ihn nicht: Er suche die wahre Schönheit dahinter, sagt Fotograf und Filmemacher Peter Lindbergh.
Glamour, Retusche und Perfektion interessieren ihn nicht: Er suche die wahre Schönheit dahinter, sagt Fotograf und Filmemacher Peter Lindbergh. Getty Images
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Ohne ihn wären die Supermodels der 1990er vielleicht unbekannt geblieben. Peter Lindbergh hat das Bild der Frau revolutioniert. Nun widmet sich ein Dokumentarfilm der Geschichte des bald 75-jährigen Starfotografen.

Er verweigerte sich der Perfektion, vermied das Aalglatte und erfand die Supermodels. Jetzt widmet sich der Film „Peter Lindbergh – Women's Stories“ (Start 2. 8.) dem Mann hinter der Linse und erzählt, wie der Sohn eines Süßwarenhändlers zum Starfotografen wurde, der in den Achtzigern das Bild der Frau revolutionierte. Auch mit fast 75 ist der Mann noch immer auf Achse. Wir treffen ihn in Hamburg, er trägt schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans, spricht rheinländischen Dialekt und bestellt Fanta.


Sie sagen, Sie sind aus Zufall zur Fotografie gekommen. Was macht Ihre Fotokunst aus?

Peter Lindbergh: Ich glaube, es gibt ein einfaches Prinzip: Ich bin kein tausendprozentiger Fotograf. Im Gegenteil, ich bin immer geblieben, wie ich war. Ich denke auch wie früher. Die Welt ist sehr einfach, wenn man sie aus einem bestimmten Winkel betrachtet. Es muss nicht immer alles kompliziert und hysterisch sein. Ich habe nie meine einfache Perspektive aus den Augen verloren. Wenn ich Frauen auf riesig hohen Absätzen rumlaufen sehe, die sich fast das Bein brechen, um ihrem Mann oder den Leuten zu gefallen, erkenne ich das sofort, dann brauche ich das nicht zu fotografieren.

Ihre Normalität ist Ihre Kontrollinstanz?

Es gibt Fotografen, die hysterisch „Wonderful!“ schreien, wenn Frauen an ihnen vorbeistöckeln. Diesen Leuten räume ich keine große Chance ein, Bedeutendes zu machen. Vielleicht bin ich auf dem Boden geblieben. Aber auch das hört sich irgendwie falsch an.

Ist es Authentizität oder Nahbarkeit?

Mir wird vorgeworfen, ich lasse Leute zu nahe an mich ran. Damit bin ich nicht einverstanden: Ich habe einfach eine andere Beziehung zu Menschen.

Wird man Schönheit je satt?

Ich finde Leute aus anderen Gründen schön als die Allgemeinheit. Wenn man immer nur perfekte Leute sieht, tritt diese Perfektion in den Hintergrund. Man findet dann andere Gründe, die Schönheit eines Menschen zu erkennen. Wenn man diese Stelle bei Leuten fotografieren will, kommt man aber nur schwer hin. Je mehr ich mich darauf konzentriere, desto leichter wird es.

Wie erfanden Sie den Begriff Supermodels?

Zu der Zeit herrschte in Modemagazinen ein katastrophales Frauenbild: Frauen mussten reich aussehen, mit Schmuck zugehängt sein, mit Hündchen auf der Fifth Avenue rumtrippeln. Sie wurden nur daran gemessen, wie sie sozial auftraten, das war auch in der „Vogue“ so. Ich habe damals die Mädels zusammengesucht, die ich toll fand, und habe sie in L.A. fotografiert.

Die Gruppe aus Linda Evangelista, Naomi Campbell, Cindy Crawford und Co. Wie konnten Sie diesen alten Stil durchbrechen?

Anna Wintour kam als „Vogue“-Chefredakteurin. Sie sah meine Fotos und meinte: „This is the future!“ Nach 15 Jahren mit Turbanen, Gold und retuschierten Gesichtern waren die natürlichen Mädchen in Jeans und weißen Hemden eine Revolution! Die eigentliche Leistung waren nicht so sehr die Fotos, sondern Wintours Entscheidung, sie auf das Cover zu nehmen!

Wie war es, plötzlich der Hot Shot zu sein, eine globale Ästhetik mitzudefinieren?

Ich habe das nie so gesehen. Ich habe erst vor zehn Jahren gemerkt, dass damals etwas passiert ist, was den allgemeinen Geschmack verändert hat.

Nun gibt es eine Doku über Sie. Sind Sie mit allem einverstanden, was gezeigt wird?

Nein, aber ich habe mich darauf eingelassen. Es ist nicht meine Sache, wie ich dargestellt werde. Ich habe mir von Anfang an geschworen, den Film nicht zu beurteilen. Der Regisseur hatte jede Freiheit. Für meine Begriffe war das ein sehr kluger Schritt.

Sie wurden oft „Poet des Glamours“ genannt. Würden Sie sich diesen Titel geben?

Oh Gott, nein! Glamour ist ein fürchterliches Wort, ich mag auch nicht, wofür es steht! Die Idee von Glamour ist erschreckend dumm. Würde ich mich damit identifizieren, wäre das tragisch.

Welcher Titel passt besser?

Einmal wurde über mich geschrieben: „Einer der größten Fotografen des 20. Jahrhunderts“. Das hat mir gefallen!

Wen findet ein Mann, der beruflich die schönsten Frauen der Welt mustern musste, heute selbst außergewöhnlich schön?

Da muss ich der jungen Generation eine Enttäuschung bereiten: Mir gefällt Charlotte Rampling, die ist siebzig.

Steckbrief

Peter Lindbergh wurde 1944 als Peter Brodbeck in Lissa (heute in Polen) geboren und ist ein deutscher Fotograf und Filmemacher.

Bekannt wurde er für seine meist schwarz-weißen Fotografien, die in der „Vogue“, im „New Yorker“ in „Vanity Fair“ oder dem „Rolling Stone“ erschienen. Er fotografierte das berühmte „Vogue“-Cover, für das er Linda Evangelista, Naomi Campbell, Tatjana Patitz, Cindy Crawford und Christy Turlington für ein Shooting zusammenbrachte und als „Supermodels“ etablierte.

Heute lebt Lindbergh in Paris, NY und Arles.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2019)

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