Wiener Hofburg: Des Kaisers Monstergebäude

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Mit dem Ende der Monarchie 1918 fanden auch die ständigen Umbauten und Erweiterungen der Wiener Hofburg ihr Ende. Was sich in der 700-jährigen Geschichte dieses gigantischen Gebäudekomplexes alles getan hatte.

Die Wiener Hofburg sei die „große Unvollendete“, meint der Wiener Kunsthistoriker Werner Telesko. Im letzten Aufbäumen der Donaumonarchie wurde ein riesiges Ausbauprogramm gestartet, das die ehrwürdigen alten Gemäuer des habsburgischen Machtzentrums in eine Reihe mit den repräsentativen Palästen in München, Berlin, London, Amsterdam, Brüssel, oder Paris katapultieren sollte. Es kam freilich ganz anders: Der 1869 mit großem Elan gestartete Bau des Kaiserforums schlief um die Jahrhundertwende ein und wurde schließlich ganz zu Grabe getragen. Am Ende stand der „Sieg der Tradition über utopische Ausbaupläne“, so Telesko.

Die Wiener Hofburg gilt als eines der größten Profangebäude der Welt. Seit dem 13. Jahrhundert, als eine kleine Stadtburg errichtet worden war, baute beinahe jeder Herrscher einen Teil dazu oder zumindest um. Über die Jahrhunderte entstand ein Konglomerat an Gebäuden, Trakten, Höfen, Bauformen und Stilen – ein Sammelsurium aus sieben Jahrhunderten Kunstgeschichte. Pläne zur Vereinheitlichung wurden immer wieder gewälzt, aber nie umgesetzt – anders als etwa beim Prager Hradschin.

Die ständigen kleineren Veränderungen äußern sich etwa darin, dass man heute unter Wandvertäfelungen bisweilen ältere Malereien oder hinter barocken Schaufassaden gotische Elemente findet. Diese „Verdichtung von Zeitschichten“, so Telesko, wurde in den vergangenen acht Jahren mühsam getrennt: Diese Arbeit stand nämlich im Zentrum des Großprojekts über die Bau- und Nutzungsgeschichte der Hofburg, das von der Kommission für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführt wurde. In fünf Arbeitsgruppen wurden abertausende Dokumente, Pläne, Briefe, Abrechnungen, Zeichnungen, Fotografien etc. systematisch gesammelt und ausgewertet. Zusätzlich wurden zahlreiche Bauuntersuchungen angestellt. Finanziert wurde das Forschungsunternehmen durch zehn FWF-Projekte und Mittel der ÖAW.


Starkes Traditionsbewusstsein. Am Mittwoch dieser Woche wurde – im passenden Rahmen in den Räumlichkeiten der Präsidentschaftskanzlei – die erste Frucht dieser Arbeit vorgestellt: ein 544 Seiten starker, opulent bebilderter Band über die Hofburg zwischen 1835 und 1918. Untertitel: „Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des ,Kaiserforums‘“ (Verlag der ÖAW, 89,90 Euro). Die restlichen vier Bände (mit insgesamt 2100Seiten) sollen bis zum Jahr 2014 folgen.

„Die Basis für die Gestaltung im 19.Jahrhundert ist die Anciennität und das Traditionsbewusstsein“, sagt Telesko, der das Teilprojekt über das lange 19. Jahrhundert leitete. Das zeigt sich z.B. bei der Innenraumgestaltung. In der ersten Jahrhunderthälfte, nach der Ära des Klassizismus, setzte sich ein Neorokoko-Stil durch: Als „Blondel'scher Stil“ schwappte dieser in den 1830er-Jahren aus Frankreich über ganz Europa, in Wien fiel er auf fruchtbaren Boden – u.a. in Erinnerung an „Landesmutter“ Maria Theresia. Im letzten Jahrhundertviertel übernahm ein anderer Stil das Ruder: ein Neobarock nach Vorbildern aus Zeiten von Leopold I. und Karl VI., der, wie Telesko es formuliert, zu einem „österreichisch-gesamtstaatlichen bzw. habsburgisch-dynastischen Stil“ wurde. Eine ästhetische Entscheidung, die übrigens noch lange nach dem Ende der Monarchie nachwirken sollte.

Diese Fixierung auf die Tradition bedeute nicht automatisch, dass man nicht gewusst hätte, welche Kunstströmungen es anderswo gab. „Man war auf Augenhöhe – auch wenn man es nicht angewendet hat“, so Telesko.


Toiletten und Strom. Moderner Technik stand man nicht ablehnend gegenüber. Im Gegenteil: 1825 wurden moderne Heißluftheizungen („Meißner'sches Heitzen“) systematisch in die Kachelöfen der Hofburg eingebaut. 1835 wurde der erste „geruchlose Bequemlichkeitsort“ eingebaut, 1873 Telegrafenleitungen in die kaiserlichen Appartements eingeleitet. Und ab 1883 wurden Hoffestlichkeiten elektrisch beleuchtet, die permanente Elektrifizierung wurde 1890 vorgenommen.

Die Hofburg hatte auch immer schon ein ausgeklügeltes Raummanagement. Mit jedem neuen Erzherzog, mit jeder Vermählung entstand neuer Bedarf an adäquaten Räumlichkeiten. Diese wurden vor dem Bezug stets neu hergerichtet – jeweils im Stil der aktuellen Vorlieben. Damit war aber noch nicht gesagt, dass die Bewohner auch dauerhaft in diesen Räumen blieben. Das galt auch für das „first couple“ Franz Josef I. und Elisabeth. Lange Zeit dachte man, dass der Kaiser schon zu Regierungsantritt 1848 in jene Räumlichkeiten einzog, die heute die touristische Hauptattraktion der Hofburg sind. Die ÖAW-Forscher haben nun aber nachgewiesen, dass das nicht stimmt. Franz Josef lebte auch nach seiner Krönung in einer Junggesellenwohnung, nach der Hochzeit mit „Sisi“ 1854 zogen die beiden in den Leopoldinischen Trakt, die „Kindskammer“ befand sich zeitweise im Radetzky-Appartement. Im Endeffekt machte das Kaiserpaar innerhalb weniger Jahre ein ganze Runde um den inneren Burghof. Erst 1857 bezog es jene Räume im Reichskanzleitrakt bzw. in der Amalienburg, die heute von den Massen bestaunt werden.


Utopische Visionen. Mit dem Abbruch der Stadtmauer, den Franz Josef höchstpersönlich per „Allerhöchstem Handbillet“ dekretierte, wurde auch für die Hofburg ein neues Kapitel aufgeschlagen. Plötzlich hatte das Ensemble Platz in Richtung der entstehenden Ringstraße – was auch städtebaulich genutzt werden sollte. Nach einigen Jahren der Diskussion, einem Wettbewerb und vielen Vorschlägen legte Gottfried Semper 1869 ein Konzept für ein „Kaiserforum“ vor, das auf Geheiß des Kaisers auch Ideen Carl von Hasenauers integrieren musste. Der Plan sah nach einer Revision schließlich einen mächtigen Thronsaalbau, zwei riesige geschwungene Flügel sowie „Trabantenbauten“ wie die beiden Museen oder das Burgtheater vor. Dieses Projekt war, so Telesko, das europaweit „letzte Versuchsfeld höfischen Bauens“. Als Stil wurde ein eklektizistischer Historismus mit Elementen aus der römischen Antike, der italienischen Renaissance und dem Barock gewählt.

Von Anfang an war aber Sand im Getriebe. Es gab planerische Unzulänglichkeiten und technische Probleme, auch die Finanzierung war schwierig. Ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass die bürgerlich genutzten Trabanten des Kaiserforums (Theater, Museen) viel früher gebaut und fertig wurden als die herrschaftlichen Teile – die sukzessive reduziert wurden.


Breite Kritik am Bau. Diesen Gebäuden wurde mit der Zeit immer stärker mangelhafte Funktionalität vorgeworfen, letztendlich hat sich das höfisch-repräsentative Bauen in den überkommenen Formen komplett überlebt. Als Beweis kann eine Serie von Zeitungsartikeln aus dem Jahr 1906 dienen: Nachdem das „Hofbaucomité“ am 27.Februar1906 überraschend aufgelöst worden war, kam es in praktisch allen der damals in Wien erscheinenden 20Tageszeitungen – von der „Neuen Freien Presse“ bis hin zur „Arbeiter-Zeitung“ – zu einer breiten Kritik an der Neuen Burg. Dabei war von „Entgleisung“, „toter Architektur“, „Eunuchenhaftigkeit, die immer die Aeußerlichkeit eines vergangenen Stils nachzuäffen sucht“, von „Architekturmacherei“, von einem „Steinkoloß“ und sogar von einem „Monstergebäude“ zu lesen. Kritische Töne, die als ungeheuerlich empfunden wurden und für viele Zeitgenossen an Majestätsbeleidigung grenzten.

Wie mausetot alle Bau- oder Erweiterungspläne der Hofburg am Ende der Monarchie gewesen sind, ist im Protokoll der letzten Sitzung der Burgbaukommission nachzulesen. Am 26.Oktober1918 wurde nicht über hehre Visionen, neue Projekte oder stilistische Fragen diskutiert, sondern über ein ganz profanes Problem: nämlich über mögliche „Hungerkravalle der Bevölkerung“ und wie man die jüngst angelegten Lebensmittellager in der Hofburg vor der „Gewalt des Pöbels“ schützen könne.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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