Wie bringt man dringend benötigte Heilmittel in die hintersten Winkel der Erde? Auf dem Rücken dessen, was ohnehin überall hingebracht wird: Coca-Cola.
Wann immer die Natur über eines der Armenhäuser herfällt – mit Beben über Haiti, Dürre über den Sahel oder Flut über Pakistan –, dann bewundert man vor dem TV, wie routiniert die internationale Hilfsmaschinerie anläuft: Da landen dickbauchige Flugzeuge, erst quellen Soldaten heraus und dann die Hilfsgüter, die sie bis in die hintersten Winkel der Region verteilen, per LKW und Hubschrauber, und natürlich stehen auch rasch Feldlazarette.
Was man im Subtext bzw. Subbild aber auch sieht, ist, dass diese Länder sich nicht selbst helfen können, und das nicht nur im Ausnahmefall der Not, sondern im ganz gewöhnlichen Alltag. Der ist die wahre Katastrophe: Es gibt oft keinerlei medizinische Infrastruktur. So kommt es etwa, dass in vielen Regionen Afrikas jedes fünfte Kind vor dem fünften Geburtstag an Diarrhoe stirbt – die fordert mehr Opfer als Malaria und Aids –, obwohl diese Leben mit billigen Medikamenten zu retten wären. Aber wie bringt man sie in die tiefsten Wälder?
Zwischen den Flaschenhälsen ist Platz
Simon Berry, britischer Entwicklungshelfer, hatte 1988 in Sambia eine Idee: Man konnte keine neue Logistik mit Bahnen oder Straßen aus dem Boden stampfen – aber man konnte eine bestehende Infrastruktur nutzen, nämlich die, die auf Fahrrädern oder Tierrücken etwas in die hintersten Dörfer brachte, was Berry angeboten wurde, wo immer er hinkam: Coca-Cola. Auf diesem Trittbrett fahren nun Medikamente: Berry hat eine NGO gegründet (ColaLife), sie hat unzählige Detailprobleme kleingearbeitet. Sie hat Behälter entwickelt, die quer zwischen den Flaschenhälsen in den Kisten liegen und am Zielort verkauft werden (nicht verschenkt, es soll etwas kosten); sie hat alle Beteiligten konsultiert. Das dauerte, allein die Kontaktaufnahme zu Coca-Cola brauchte Jahre, und die ganze Händlerkette in Sambia musste auch gewonnen werden.
Inzwischen läuft das Projekt, und wie gut es läuft, wollen Forscher des UNO-Kinderhilfswerks Unicef und nordamerikanischer Universitäten nun evaluieren. Das nötige Geld kommt von Grand Challenges Canada, einer Organisation des kanadischen Staates. „Es ist die größte Pipeline für mutige Ideen in Sachen globaler Gesundheit, und es zeigt überzeugend, wie reich arme Länder an Ideen sein können“, erklärte Peter Singer, Chef von Grand Challenges Canada, als er diese Woche die 68 Projekte bekannt gab, die heuer je 100.000 Dollar erhalten. Darunter sind Hightech-Entwicklungen westlicher Universitäten wie Schnelltests für HIV und Denguefieber oder Verbandsmaterial mit Nanosilber für Brandwunden; darunter sind einfachste Pläne lokaler Initiativen: In Kenia etwa soll Saatgut gratis erhalten, wer die – ausgefüllten – Impfpässe seiner Kinder vorweist; im Senegal will man Krebse züchten und in Flüssen aussetzen, auf dass sie dort die Wasserschnecken dezimieren, über die eine Wurmkrankheit auf Menschen übertragen wird, Bilharziose; in Nicaragua sollen schwimmende Farmen über Seen kreuzen, die neben Fischen auch Pflanzen aus dem Wasser holen.
Und allerorten wird die Infrastruktur genutzt, die in den letzten Jahren auch die entlegensten Ecken der Erde überzogen hat: die der Mobiltelefonie. Mit deren Verbindungen und Apps soll etwa die Dickleibigkeit in Nordnigeria bekämpft und die Impfrate in Slums in Bangladesch gehoben werden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2012)