Nofretete: Ein Berliner Fest für die Tochter des Lichts

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Vor hundert Jahren fanden deutsche Archäologen die Büste der Nofretete. Eine Ausstellung feiert die wohl schönste Frauenskulptur der Welt, und schürt Debatten über falsche Besitzansprüche und Raubfunde.

Es war eine Sternstunde der Archäologie, doch Ludwig Borchardt erlebte sie als „Duseltag“. Niemand kann dem Grabungsleiter in Amarna die Eintragung in sein Tagebuch verübeln: Da dampft ein sächsischer Prinz den Nil herauf und lässt sich huldigen. Da stellt sich heraus, dass die Expedition auf die Werkstatt eines Bildhauers gestoßen ist. Schließlich legt man die Büste einer wunderschönen Frau frei: mit Krone, Schwanenhals und unwiderstehlichem Lächeln. Da konnte auch einem nüchternen deutschen Archäologen ein wenig schwummerig werden, zu Nikolaus 2012.

Nofretete heißt: „Die Schöne ist gekommen.“ Die göttliche Gattin des Pharao Echnaton kam kurz nach der Bergung nach Berlin. Zum 100.Jahrestag des Fundes feiert das Neue Museum die berühmteste Frauenskulptur der Kunstgeschichte, geschaffen um 1340 v.Chr., mit einer großen Ausstellung. Die Zauberwelt von Amarna wird ausgebreitet, mit 5500 noch nie gezeigten Stücken. Nofretete selbst rührt sich nicht mehr vom Fleck, in ihrer schusssicheren Glasvitrine im Kuppelsaal des von David Chipperfield jüngst einfühlsam restaurierten Museums.

Die Schöne kam und soll nicht mehr gehen

Während der Arbeiten kam sie ins Nachbargebäude, und wenn es nach Hermann Parzinger geht, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, war die Heimkehr 2009 ihre letzte Reise: „Schon der kurze Weg vom Alten ins Neue Museum war ein solcher Aufwand: mit Sensoren und einem Laptop, der alle Schwingungen gemessen hat“, erinnert sich Parzinger, der als Archäologe um die prekäre Verfassung der Schönen weiß. Die Skulptur ist aus Kalkstein, aber mit einer Gipsschicht überzogen, in der Hohlräume aufgehen. Das Risiko, dass sie bei Bewegung Schaden nimmt, sei zu groß, eine Leihgabe komme nicht infrage.

Und schon gar keine Rückgabe. Die haben Ägypter und Franzosen, die in der britischen Kolonie die Aufsicht über die Altertümer innehatten, oft gefordert. Dabei handelte Borchardt juristisch korrekt: Er teilte vertragsgemäß alle Funde durch zwei und verhandelte um die besten Stücke. Wie sehr er trickste, ist umstritten. Der aktuelle „Spiegel“ betreibt Archäologie im Archiv, gräbt Gerüchte aus und präsentiert sie unter dem Titel „Die entführte Pharaonin“. Auf jeden Fall ließen sich die Franzosen über den Tisch ziehen: Ihre Trophäe war ein Klappaltar, möglicherweise gar eine Fälschung. Vor der „bunten Königin“ aber staunt Jahr für Jahr eine Million Berlin-Touristen, und längst gehört sie als Kulturerbe der Menschheit.

Die lebensnahe Darstellung – sogar feine Fältchen unter den Augen der Enddreißigerin sind zu sehen – ist das Sinnbild einer gescheiterten Revolution der Kunstgeschichte. Davor und danach galt im damals reichsten Land der Welt ein anderer Kanon: Gesichter wurden starr und streng schematisch dargestellt. 15 Jahre, für Parzinger ein „Wimpernschlag der Geschichte“, dauerte das Reich, in dem Echnaton seinen Kult des Lichtes ersann und ihm eine Hauptstadt baute, die nach seinem Tod verlassen wurde, ausgelöscht, wie jede Erinnerung an ihn und seine Zeit. Die Priester zürnten, weil er die vielen Götter durch einen einzigen, den Gott des Lichtes ersetzte – die erste monotheistische Religion. Die Juden übertrugen seinen „Sonnengesang“ in einen Psalm, das Christentum übernahm die Idee der Menschwerdung Gottes: Echnaton und Nofretete sahen sich als Sohn und Tochter von „Aton“, der alles Leben spendet. Schon das zeigt, dass die Königin weit mehr war als die Hauptfrau im Harem ihres Gemahls.

Kein Wunder, dass die Statue Begehrlichkeiten weckt. Zuletzt wollte Mubaraks Antikenminister Hawass Nofretete heimholen. Als Einzelkämpfer: Eine offizielle Forderung, betont Parzinger, hat es nie gegeben. Hawas stürzte mit Mubarak. Sein Nachfolger hat für die Ausstellungseröffnung zugesagt.

„Beschreiben nützt nichts, ansehen“

Der Konflikt gehört in eine andere Zeit: Seit etwa 70 Jahren verlasse kein legaler Fund mehr das Land seiner Provenienz. Die weit größere Gefahr sieht Parzinger in Raubgrabungen: Im Irak, in Afghanistan, in Chile und anderswo sind illegale Grabungen ein blendendes Geschäft. „Legal sind Altertümer fast nicht mehr erwerbbar“, sagt Parzinger. Dabei ruht wohl der größte Teil der Kunstschätze noch unter der Erde. Die bezauberndste Frau aber dürfte geborgen sein. Dass ihre Schönheit nicht in Worte zu fassen ist, hat schon Borchardt erkannt, er notierte: „Beschreiben nützt nichts, ansehen.“

Eine Räubergeschichte?

„Arbeit ganz hervorragend“, notierte der deutsche Ausgräber der Nofretete-Büste. Aber ihr Besitzer ließ sie in Berlin jahrelang nicht ausstellen. Das weckte früh den Verdacht, beim Export sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Er kehrte 1978 in der „Zeit“ wieder, 2009 eröffnete der „Spiegel“ die nächste Runde und legt nun nach. Das Museum betonte immer, der Vorwurf der Täuschung entbehre jeder Grundlage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2012)

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