Biologie: Menschheitsuhr wird neu gestellt

Menschheitsuhr wird gestellt
Menschheitsuhr wird gestellt(c) BilderBox (BilderBox-Wodicka)
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Nachdem in Datierungsfragen alles durcheinandergeraten ist und Ausgräber in heillosen Konflikt mit Genetikern gekommen sind, bieten Letztere nun Frieden an.

Wann sind unsere Ahnen aus Afrika ausgewandert? Das war lange relativ klar. Sie taten es vor etwa 60.000 Jahren, den Nil hinab und/oder über Arabien, dann wandten sie sich nach Osten, vor 50.000 Jahren waren die ersten in Australien, zu uns brauchten sie länger. Das kann man aus archäologischen Zeugnissen lesen, aber die sind nicht die einzige Quelle, mit dem Siegeszug der Molekularbiologie kamen die genetischen Uhren dazu. Und die ticken ganz anders, ihnen zufolge hätten sich die ersten vor 130.000 Jahren auf den Weg gemacht, oder gar vor 190.000.

Der Streit zieht sich schon lange hin, und er geht nicht nur um dieses Datum, sondern um die gesamte frühe Geschichte. Erst hielt man uns – Homo sapiens – für 20 Millionen Jahre alt, darauf deuteten Funde in Pakistan. Dann kam, 1967, die erste molekulare Datierung, noch nicht an Genen, sondern an Proteinen: Vor fünf Millionen Jahren haben sich unsere Ahnen von denen der Schimpansen getrennt. Dann schlugen die Ausgräber zurück, sie fanden etwa den sieben Millionen Jahre alten Frühmenschen Sahelanthropus. Nun waren wieder die Genetiker am Zug, und sie ersannen etwas völlig Neues: Früher versuchte man, das Alter aus Genvergleichen zwischen unseren Nächstverwandten und uns zu errechnen. Nun ging man über auf die Genome heute lebender Menschen und zählte aus, wie viele Mutationen sich von Generation zu Generation neu einstellen. Dann muss man nur noch die Länge einer „Generation“ kennen – das Durchschnittsalter von Mutter und Vater bei der Geburt des Durchschnittskindes –, dann kann man rechnen.

Schwindelerregende Rechnungen

Aber diese Kalkulationen erregten bald Schwindel, alles verschob sich – nunmehr hätten sich Menschen und Schimpansen schon vor acht Millionen Jahren getrennt, und die Orang-Utans wären gar schon vor 46 Millionen Jahren in den Bäumen geklettert, als es noch kaum Primaten gab –, die Anthropologen schlugen die Hände über den Köpfen zusammen: Nun sei „alles finster“ geworden, klagte etwa Chris Stringer (London), „die Mutationsraten hängen völlig in der Luft“, schloss sich Svante Pääbo (Leipzig) an.

Aber der gab nicht auf, sondern hat sich mit seinem Schüler Johannes Krause (Tübingen) zusammengetan, um einen Verdacht zu klären: Möglicherweise kommen die seltsamen Befunde der Mutationsraten daher, dass diese nicht konstant geblieben sind, sondern früher anders waren als heute. Deshalb haben die Forscher nun die Mutationsraten in fossilen Menschen erkundet, sie hatten zehn Skelette, das jüngste war 700 Jahre alt und stammte aus Frankreich, das älteste war ein 40.000-jähriges aus China. Und plötzlich stimmte wieder alles wie in der guten alten Zeit: Vor maximal 95.000 Jahren sind die Menschen aus Afrika ausgewandert, wahrscheinlicher erst vor 62.000 (Current Biology, 21.3.).

Allerdings warnt Pääbo vor allzu frühem Jubel: Die Gene, die jetzt analysiert wurden, stammen aus der kleinen mitochondrialen DNA, nicht aus der großen im Kern. Und bei denen versteht man viel weniger von den Mutationsraten als bei Kern-DNA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2013)

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