Medizin: Neues Augenlicht von Stammzellen?

Clemens Fabry
  • Drucken

In Großbritannien will ein Augenarzt in drei Jahren klinische Tests beginnen. Und in den USA wurden erstmals menschliche Embryonen aus Hautzellen geklont.

Drei Schweine am University College London sehen die Welt (partiell) mit menschlichen Augen, zumindest ist Pete Coffey, Leiter des britischen „Project to Cure Blindness“, davon überzeugt. Er hat den Tieren Netzhautzellen implantiert, die er aus embryonalen Stammzellen von Menschen gewonnen hat. „Ich war außer mir, als ich die Ergebnisse sah“, erklärte er: „Es zeigt, dass es im Prinzip funktioniert.“ Falls es wirklich funktioniert, wäre es die erste Anwendung der Wunderzellen, die seit zehn Jahren die Hoffnungen der Medizin beflügeln.

1998 wurden an Menschen erstmals Zellen gefunden, die den seit 1981 bekannten embryonalen Stammzellen (ES) von Labormäusen ähneln: Die können sich bei Mäusen in jeden Zelltyp differenzieren und auch zu ganzen Mäusen heranreifen, letzteres können die menschlichen Pendants nicht, aber auch sie können viele Zelltypen bilden, deshalb nannte man sie auch ES. Ihre Entdeckung kam zu einer Zeit, als die vorige Hoffnung der Medizin – Gentherapien – ins Stocken geraten war, alle Erwartungen richteten sich auf „Zell-Therapien“: Man kann, theoretisch, aus ES Transplantate für alles und jedes gewinnen, am Anfang war von ganzen Organen die Rede – Herzen etwa –, dann dämpfte man und konzentrierte sich auf Zellen, etwa solche, die im Gehirn bei altersbedingtem Verfall aushelfen sollen.

Nicht lebensfähiges Mischwesen...

Aber auch dabei ging wenig voran, das hat einen Grund in der Schwierigkeit, zu ES zu kommen. Dazu braucht man Embryos in frühen Stadien, sie werden bei der Zell-Entnahme zerstört. Deshalb ist die Forschung in vielen Ländern nur beschränkt möglich, in den USA etwa sind (für die öffentliche Forschung) nur einige Zelllinien zugelassen, in Deutschland darf nur mit importierten Zelllinien experimentiert werden. In Österreich ist die Rechtslage unklar (siehe unten). Vorreiter in Europa ist England mit einer liberalen Gesetzgebung, die die Herstellung von ES erlaubt. Als Quelle nutzte man bisher übrig gebliebene Embryos aus der in vitro Fertilisation (sie werden für gewöhnlich nach einiger Zeit als Müll entsorgt). Zudem erlaubte die zuständige Behörde (HFEA) gestern erstmals die Erzeugung einer Chimäre, eines Mischwesens von Mensch und Tier: Man nimmt die Eizelle etwa einer Kuh und transferiert die DNA einer menschlichen Zelle hinein – das Produkt ist nicht lebensfähig, die Ethik-Probleme des Embryo-Zerstörens entfallen (andere kommen).

Vorreiter international sind Länder, in denen Religion und Politik keine Einwände gegen ES haben, Israel etwa oder auch asiatische Staaten wie Südkorea, Singapur. Dort stampfte man ein Riesenprojekt aus dem Boden – ES Stem Cell International –, letztes Jahr schloss man es mangels Erfolgs. Der wurde stattdessen aus Korea gemeldet, aber die gesamte Forschung beruhte auf Betrug.

Auch in anderen Punkten ist die ES-Technik noch nicht ausgereift. Man muss ES in die gewünschten Transplantatzellen ausdifferenzieren und vermehren. Beim Ausdifferenzieren darf keine ES als Verunreinigung bleiben – sie würde im Körper einen Tumor bilden –, und die Schwierigkeit beim Vermehren trieb ES Cell International in den Ruin.

...kann Immunproblem umgehen

Drittes Problem: Implantate dürfen nicht vom Immunsystem abgestoßen werden, die Zellen müssen deshalb vom Transplantat-Empfänger selbst stammen. Das geht durch „therapeutisches Klonen“: Man bringt DNA des Patienten in eine entkernte Eizelle.

Das war in Korea angeblich gelungen, gestern meldete die US-Firma „Stemagen“ einen ähnlichen Erfolg: Ihre Forscher haben aus einer Hautzelle menschliche Blastozysten (frühe Stadien eines Embryos) geklont. Allerdings sehen diese laut dem Stammzell-Experten Robert Lanza (Advanced Cell Technology) „sehr ungesund“ aus. Und vor allem konnten daraus noch keine Stammzell-Linien entwickelt werden. Gelänge dies, dann könnten Transplantat-Empfänger eigene Zellen spenden, es gäbe kein Problem mit dem Immunsystem.

Dieses Problem hatte der britische Augenarzt kaum: Im Auge ist das Immunsystem schwach entwickelt, die Zellen wurden nicht abgestoßen, obwohl sie über die Artgrenze transplantiert wurden. Sie gehören zum „retinalen Pigment-Epithel“ (RPE), das ist der Bereich der Netzhaut, der bei vielen Alterserblindungen degeneriert.

Sehen die Schweine wirklich mit den neuen Zellen? Die reagieren auf Licht, soviel weiß man. Aber das taten auch RPE in Rattenaugen, in die sie Lanza 2006 eingepflanzt hatte, auch er stellte baldige klinische Tests in Aussicht. Gehört hat man seitdem nichts.

IN WIEN: Stammzell-Tagung

Die Bioethikkommission (die im Oktober 2007 neu bestellt wurde) und das Uni-Institut für Ethik und Recht in der Medizin veranstalten eine Tagung über Ethische und rechtliche Aspekte der Stammzellforschung. Bis 18.Jänner. Info: www.univie.ac.at/ierm

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.