Forschung in Österreich: „Hinter vorgehaltener Hand“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Rechtslage ist unsicher. Nur ein Team forscht derzeit an (aus den USA importierten) embryonalen Stammzellen – und das nicht mehr lange.

Wir haben uns da als Erste vorgewagt“, sagt Erwin Wagner, Molekularbiologe am Wiener Institut für Molekulare Pathologie (IMP): „Wegen der unklaren Gesetzeslage habe ich ein Rechtsgutachten erstellen lassen.“

Das Gutachten, erstellt von Christian Kopetzki, Medizinrechtler, war positiv. So importierte Wagner – er hat jahrelange Erfahrung mit embryonalen Stammzellen von Mäusen – menschliche embryonale Stammzellen aus einem New Yorker Labor. Seit April 2007 arbeitet er mit ihnen. „Wir schauen, ob die Gene für die Ausdifferenzierung von embryonalen Stammzellen in Knochenzellen (Osteoklasten), Endothelzellen und Knorpel bei Menschen die gleichen sind wie bei Mäusen“, erklärt er. Bei Mäusen ist dieses System schon „genetisch definiert“, und man kann Gene ein- und ausschalten; beim Menschen ist man noch nicht so weit.

Wagner ist damit der erste Wissenschaftler in Österreich, der (zumindest bekanntermaßen) an menschlichen ES forscht. Er bemängelt jedoch, dass dies hierzulande „nur hinter vorgehaltener Hand“ möglich sei – die Forschungen sind zwar nicht dezidiert verboten, es herrsche aber in Österreich kein „forschungsfreundliches Klima“, so Wagner. Nicht daran liege es, dass er im Sommer 2008 mit seiner ganzen Arbeitsgruppe nach Madrid übersiedelt: Die Stammzellen, an denen er forscht, nimmt er mit.

Auch Forschung an adulten Stammzellen (die im Körper von Erwachsenen vorkommen) ist in Österreich vergleichsweise rar. Christine Mannhalter vom AKH Wien hat eine Übersicht erstellt: „Bisher gab es nur für sieben Projekte, die sich mit Stammzellen befassten, Geld vom Wissenschaftsfonds: insgesamt 1,9 Millionen Euro.“ Davon betraf nur ein Projekt embryonale Stammzellen – von Mäusen –, die restlichen sechs galten adulten Stammzellen.

Nur sieben Stammzellprojekte

Forschung an adulten Stammzellen gilt als ethisch unbedenklich, da zu ihrer Gewinnung keine Embryonen verwendet (und schon gar nicht verbraucht) werden. Zu den adulten Stammzellen werden für gewöhnlich auch Knochenmarkszellen gerechnet, so fällt auch Forschung für Knochenmarkstransplantationen in diesen Bereich.

Auf EU-Ebene sieht die österreichische Beteiligung schon besser aus: Zwar ist die absolute Zahl wiederum niedrig: Im sechsten EU-Rahmenprogramm wurden nur sechs Projekte an humanen ES gefördert (mit zirka neun Millionen Euro), an zwei waren Österreicher beteiligt, an einem ist wieder Erwin Wagner beteiligt, das andere leitet Thomas Jenuwein, ebenfalls vom IMP Wien. „Die Standorte der Forschung an humanen ES liegen außerhalb Österreichs“, schließt Mannhalter, „aber zu Teilaspekten werden Österreicher als wichtige Partner ins Boot geholt.“

Wie freundlich stehen die großen Geldgeber in der österreichischen Grundlagenforschung der Forschung an humanen ES gegenüber? In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2003, die immer noch gilt, trat der Wissenschaftsfonds FWF für ein Verbot von therapeutischem Klonen ein. Er wolle humane ES-Forschung nur fördern, wenn diese von überzähligen Embryonen kommen, die bei In-vitro-Fertilisation entstanden sind. Projekte, die dazu beantragt werden, würden bis heute laut FWF-Auskunft nur befürwortet, wenn humane ES die einzige Möglichkeit sind und die Forschungen von hochkompetenter Stelle betrieben werden.

Georg Stingl, Präsidialmitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), verweist auf ein Positionspapier der Deutschen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) 2007, das die Freigabe von neuen humanen Stammzelllinien für die Wissenschaft befürwortet. In Österreich hat die ÖAW keine offizielle Stellungnahme bereit. „Um die Möglichkeiten der induzierten pluripotenten Stammzellen zu testen, müssen als Kontrolle weiter Ergebnisse der humanen ES herangezogen werden. Daher sind Forschungen an guten humanen ES unumgänglich“, meint Stingl persönlich aber.

Vorbild Schweiz?

Als Vorbild in der Gesetzgebung bezüglich Stammzellforschung nennt nicht nur der evangelische Theologe und Bioethiker Ulrich Körtner die Schweiz (siehe Seite 33): Dort sind seit 2005 Import und Gewinnung von ES unter strengen Kontroll- und Sicherheitsvorgaben erlaubt. Wie wirkt diese permissive Gesetzeslage – und die Rechtssicherheit – auf die Forschung?

Sechs Forschergruppen in der Schweiz arbeiten derzeit mit humanen embryonalen Stammzellen. Zum Vergleich: In Deutschland, das zirka elf Mal so viele Einwohner hat, sind derzeit zirka 25 Projekte genehmigt, aber diese finden auch nur an sechs Standorten statt. „Hätte Deutschland ein ähnlich sicheres Gesetz zur Forschung an Stammzellen wie die Schweiz, wer weiß, wie umfangreich die Forschungslandschaft heute wäre?“, meinte Hartmut Kreß (Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn) bei einer Bioethik-Tagung in Wien.

In Deutschland ist seit 2002 ein Stammzellforschungsgesetz in Kraft, seit 1991 ein Embryonenschutzgesetz. Es gilt eine Stichtagregelung: Es darf nur an importierten Stammzellen geforscht werden, die vor dem 1.Jänner2002 gewonnen wurden. So alte Stammzelllinien sind aber für effiziente Forschung ungeeignet, beklagen deutsche Forscher. So ist die Stammzell-Debatte auch in Deutschland voll im Gange (siehe links).

LEXIKON: Stammzellen

Aus ihnen können differenzierte Zellen verschiedener Typen – Muskeln, Haut, Leber, Nerven etc. – werden.

Embryonale Stammzellen (ES) sind totipotent, aus ihnen können alle Zelltypen werden und auch – bei Labormäusen – ganze Tiere. Bei Menschen funktioniert Letzteres nicht, ihre ES sind nur pluripotent, trotzdem nennt man auch sie ES.

Adulte Stammzellen sind weniger differenzierungsfähig, aber ethisch problemlos. Sie sind etwa in Nabelschnurblut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2008)

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