„Doppelmoral und Scheinheiligkeit“

Theologe Ulrich Körtner, Mitglied der Bioethikkommission, hält fehlende Regelung für „unethisch“.

Die Presse: Ist Forschung an embryonalen Stammzellen für Sie als christlichen Ethiker akzeptabel?

Ulrich Körtner: Ja, sofern sie von Embryonen stammen, die nicht eigens zu Forschungszwecken hergestellt werden – sondern wenn es sich um überzählige Embryonen handelt, die bei der In-vitro-Fertilisation anfallen. Der Schutz des Lebens in allen seinen Phasen ist ein christlicher Grundsatz, zu dem ich mich bekenne. Doch überzählige Embryonen haben keine Lebensperspektive, während wir zugleich die ethische Verpflichtung zur Grundlagenforschung haben, ohne die es keinen medizinischen Fortschritt gibt. Aus christlicher Verantwortung halte ich darum eine Güterabwägung für zulässig. Wer diese Forschung ablehnt, darf später auch nicht die aus ihr in anderen Ländern gewonnenen Ergebnisse oder Therapien nutzen. Das gilt dann übrigens auch für die Forschung an adulten Stammzellen, soweit sie auf Studien an embryonalen Stammzellen basiert.

Soll man auch an in Österreich hergestellten Stammzellen forschen dürfen?

Körtner: Wer A sagt, muss auch B sagen. Es wäre unredlich, die Herstellung von eigenen Stammzelllinien in Österreich weiter zu verbieten, aber die Zerstörung von menschlichen Embryonen in anderen Ländern zu akzeptieren. Allerdings gibt es schon hunderte Stammzelllinien, auch in Europa. Daher halte ich die Herstellung neuer Stammzelllinien nicht für vordringlich.

Wäre für Sie auch therapeutisches Klonen – also Erzeugung eines Embryos durch Kerntransfer – als Quelle für embryonale Stammzellen akzeptabel?

Körtner: Das ethische Problem besteht bei dieser Methode vor allem darin, dass man massenhaft weibliche Eizellen benötigt: Frauen als Rohstofflieferant für die medizinische Forschung. Anders sieht die Sache aus, wenn es tatsächlich gelingen sollte, nur aus Körperzellen durch Reprogrammierung Zellen mit embryonalen Eigenschaften zu züchten – vorausgesetzt, mit ihnen werden keine Fortpflanzungsexperimente unternommen.

Ist nicht jede Zelle, aus der einmal ein Mensch werden könnte, als „potenzielles Leben“ schützenswert?

Körtner: Ich halte das Potenzialitätsargument in dieser abstrakten Form nicht für stichhaltig. Wir müssten sonst zum Beispiel die Spirale als Verhütungsmittel verbieten. Zwar war jeder geborene Mensch einmal ein Embryo, aber nicht jeder Embryo entwickelt sich zum Menschen. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, zum Beispiel epigenetische Wechselwirkungen zwischen der befruchteten Eizelle und dem Körper der Mutter. Zweifelhaft ist auch, ob geklonte menschliche Zellen in jedem Fall dasselbe Entwicklungspotenzial wie eine befruchtete Eizelle haben.

Etliche Forscher aus dem katholischen Bereich, etwa Markus Hengstschläger, halten die Debatte über embryonale Stammzellen für obsolet, weil man bald genauso gut an adulten Stammzellen forschen könnte.

Körtner: Worauf Herr Hengstschläger seinen Optimismus stützt, kann ich nicht beurteilen. Die Stammzellexperten, mit denen ich gesprochen habe, kommen zu einer anderen Einschätzung: Dass man noch länger auf Vergleichsstudien an embryonalen Stammzellen angewiesen sein wird. Ich halte es für unseriös, aus ideologischer Voreingenommenheit über die langfristigen Erfolgsaussichten von Forschungsansätzen zu urteilen. Grundlagenforschung ist prinzipiell ergebnisoffen.

Wie sehen Sie die gesetzliche Situation?

Körtner; Wir brauchen ein eigenes Stammzellforschungsgesetz, das Import, gegebenenfalls auch Herstellung und Beforschung embryonaler Stammzellen regelt. Derzeit ist der Import nicht verboten, aber die Forschung gänzlich ungeregelt. Das halte ich für unethisch. Wie sollten aber auch offene Fragen der Beforschung von adulten Stammzellen sowie der neuen induzierten pluripotenten Stammzellen regeln. Sofern die Herstellung von embryonalen Stammzelllinien in Österreich erlaubt werden soll, muss dafür auch das Fortpflanzungsmedizingesetz geändert werden. Dieses Gesetz ist an sich aber nicht der richtige Ort, um die biomedizinische Forschung zu regeln.

Gibt es ein internationales Vorbild?

Körtner: Vorbildlich ist für mich das Schweizer Stammzellforschungsgesetz. Es regelt die Verwendung und Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen menschlichen Embryonen und definiert sinnvolle Kriterien für die Bewilligung von Forschungsprojekten.

Warum nicht das deutsche Gesetz?

Körtner: Das deutsche Gesetz ist eigentlich ein Verbotsgesetz, das nur in Ausnahmefällen die Forschung an importierten Stammzellen erlaubt, die vor einem bestimmten Stichtag existiert haben. Im Übrigen werden Stammzellforscher durch dieses Gesetz kriminalisiert. Das Gesetz ist Ausdruck eines mühsam errungenen politischen Kompromisses, aber im Grunde ein Murks. Das zeigt auch die aktuelle Debatte über eine Verschiebung des Stichtags, um Stammzellen mit besserer Qualität einführen zu dürfen. Ich halte von so einer Stichtagsregelung nichts.

Bei der letzten Stammzell-Tagung hatte man den Eindruck, dass sich alle Parlamentsparteien auf gesetzliche Erlaubnis der Forschung an embryonalen Stammzellen einigen können. Was steht da noch im Weg?

Körtner: Die Politik unter Kanzler Schüssel und Wissenschaftsministerin Gehrer war gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen ausgerichtet. Aus diesem Grund hat Österreich sogar das sechste und das siebte Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung abgelehnt. Österreich ist dadurch ein Stück weit ins Abseits geraten. Bislang hat auch die neue Regierung keine Kurskorrektur vorgenommen. Meines Erachtens sind neue Initiativen sowohl vom Wissenschaftsfonds FWF als auch von den für Forschung zuständigen Ministern Hahn und Faymann nötig.

Böse Zungen behaupten, dass die österreichische Forschungspolitik im Gebiet Genetik nicht im Bundeskanzleramt, sondern am Stephansplatz gemacht werde...

Körtner: Für die Biopolitik der vergangenen Jahre stimmt das leider zum Teil. Selbstverständlich respektiere ich die katholische Position. In einer säkularen Gesellschaft kann es aber nicht angehen, dass eine Gruppenmoral zum alleinigen Maßstab der Forschungspolitik und der Gesetzgebung gemacht wird. In der österreichischen Stammzell-Politik hat das nur zu Doppelmoral und Scheinheiligkeit geführt, die meinem Verständnis von christlicher Ethik zuwiderlaufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2008)

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