„Beklagenswerter Verlust des ästhetischen Geschmacks“

Der Forscher und die Kunst ließen sich voneinander kaum inspirieren, auch wenn eine Ausstellung in Frankfurt das so vorstellt.

Ein sonderlich musischer Mensch war Charles Darwin nie, aber im Alter kam ihm der Bezug zu den Künsten völlig abhanden, in seiner Autobiografie, verfasst mit 70, berichtet er vom „beklagenswerten Verlust des höheren ästhetischen Geschmacks“: „Bis zum Alter von 30 Jahren gab mir die Dichtung großes Vergnügen, auch an Bildern hatte ich ziemlich viel und an Musik sehr viel Freude. Aber jetzt kann ich schon seit vielen Jahren keine Zeile Dichtung mehr lesen: Ich habe neulich Shakespeare versucht und fand es so dumm, dass mir Ekel kam. Ich habe auch fast zur Gänze jeden Geschmack für Bilder oder Musik verloren.“

Das ist bezüglich der Jugend geschönt, schon da hatte er ein „bettelarmes“ Ohr für Musik, und an Bildern interessierte ihn nicht der künstlerische, sondern der Informationsgehalt bzw. die Schönheit der Natur, die „tausend Details in jeder Blüte und jedem Insekt, an denen einzig der Naturforscher und der wahre Künstler die gleiche Freude haben können“. Und im „Letzten Abendmahl“ von da Vinci, der „ein exzellenter Naturforscher und scharfer Beobachter war“, interessierte ihn an den Gesichtern, dass „sie möglicherweise Portraits von lebenden Juden waren“.

Im Rest der Malerei sah er nichts als Moden, im Alter machte er sich lustig darüber, dass in seiner Jugend Künstler hoch gehandelt wurden, die bald in Vergessenheit gerieten. Nur einmal scheint er von einigen Turners überwältigt worden zu sein – im Haus des Kunsthistorikers John Ruskin, er verkehrte in feinsinnigen Kreisen –, distanzierte sich aber gleich. „In allen Angelegenheiten der Kunst betrachtete er sich als Ignoramus“, erinnerte sich einer seiner Söhne.

Nein, ein sonderlich musischer Mensch war Darwin nicht, die Künste haben ihn kaum inspiriert. Und vice versa: Es gibt wenige Porträts von ihm, keine Oper über ihn, keinen Roman, keinen Film – außer, vielleicht, Mutationskatastrophen wie „Godzilla“ –, nicht über seine Person, nicht über seine Revolution. (Dieses Schicksal teilt er, eigenartig genug, mit anderen Giganten der Forschung, auch über Newton gibt es nichts, und über Galilei gerade noch den „Galilei“). Umso überraschender, dass die Frankfurter Kunsthalle Schirn ab heute „erstmals einen Einblick in die Auswirkungen des Darwinismus auf die Bildende Kunst“ präsentiert.

So steht es im Pressetext, dann folgen die Künstler, die sich beeinflussen haben lassen, an der Spitze: Böcklin, Klimt, Kubin (folgend u. a. Max Ernst, John Heartfield, Odilon Redon): Böcklin wegen seiner „Seejungfrauen“, die auf den Ursprung des Lebens im Wasser anspielen sollen; Klimt wegen einer Bildunterschrift in einem Ausstellungskatalog („Das Entstehen, das fruchtbare Sein, das Vergehen“); Kubin, weil er „vom Darwinismus besessen war“. Schade nur, dass Hieronymus Bosch und Grünewald zeitlich nicht passen.

Beeinflusst: Böcklin, Klimt, Kubin?

Aber es ist auch so genug: Die Nixen Böcklins, die Ornamente Klimts, die Nachtmahre Kubins – Referenzen auf, Reverenzen vor Darwin? Na ja, wer Augen hat, ... Mich hat es nicht nach Frankfurt gelockt.

Dabei zeigen sie auch Darwinismus pur, die großartigen Naturillustrationen des Darwin-Schülers Ernst Haeckel etwa. Aber so wenig Böcklin mit Darwin zu tun hatte, so wenig hatte Haeckel mit Kunst zu tun, es ist Handwerk, auf höchstem Niveau, daran hätte der Meister selbst im Alter Freude gehabt.

Schirn Kunsthalle Frankfurt: „Darwin. Kunst und die Suche nach den Ursprüngen, 5.2. bis 3.5., www.schirn-kunsthalle.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2009)

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