Informatik: Digitale Spiegel statt Umkleidekabine

Eine Grazer Firma projiziert virtuelle Gegenstände mithilfe von Smartphones und Tablets in den Raum. Damit lassen sich Autos, Kleider und Möbel vor dem Einkauf begutachten.

Das Ziel des Jungunternehmers Stefan Hauswiesner, Gründer und Geschäftsführer von Reactive Reality, ist es, virtuelle Objekte in der echten Welt so erscheinen zu lassen, als seien sie Teil ebendieser – und nicht von realen Gegenständen unterscheidbar. In Filmen wie „Star Trek“ sei das nicht der Fall: „Selbst ein Hologramm sieht nicht realistisch genug aus“, sagt Hauswiesner.

Displays mit hoher Rechenleistung machen es möglich, dass die Benutzer nicht nur in die virtuelle Welt eintauchen können, sondern mit ihr verschmelzen. Das funktioniert mit Smartphones, Tablets oder Datenbrillen. Die eingebauten Kameras der Geräte zeichnen den Raum auf und platzieren die gewünschten Gegenstände in die echte Welt oder auf dem echten Menschen: „Menschen können sich selbst in einer anderen Kleidung sehen, ohne sich dabei umzuziehen. Es ist wie ein magischer Spiegel“, sagt Hauswiesner.

Heutige Smartphones können freilich nicht 3-D-Displays erschaffen oder Projektionen in die Welt werfen. Doch mit der Zusatztechnologie, an der Reactive Reality tüftelt, soll genau das möglich werden. Die Umgebung wird zur Projektionsfläche, auf der virtuelle Objekte und Informationen eingeblendet werden. Gleichzeitig werden die Computer unsere Umgebung genauer als je zuvor scannen. Jede Bewegung wird vermerkt und gedeutet. Alles, was einmal digitalisiert ist, wird verlinkt, vernetzt, ausgewertet und mit den realen Objekten verknüpft. Der Mensch wird sich in einem Computerspiel und zugleich in der realen Welt bewegen, in der erweiterten Realität – der Augmented Reality (siehe Lexikon).

Kleidung digital testen

Das Unternehmen greift damit den Trend zum Internetshopping auf, der in den letzten Jahren sehr stark gestiegen ist. Mit der Technologie können die Konsumenten Kleidungsstücke am eigenen Körper begutachten, bevor sie Bestellungen aufgeben. Damit können sie umgehend entscheiden, ob die Produkte gefallen oder nicht. Gekaufte, unpassende Ware braucht nicht mehr zurückgesandt zu werden. Ein kratzender Pullover kann mit der Technologie zwar nicht dargestellt werden, „aber bei vielen Gegenständen ist der virtuelle Effekt wichtig, weil die Menschen die Dinge hauptsächlich danach aussuchen, ob es gefällt. Das ist mit der Technik jetzt schon lösbar“, sagt Hauswiesner. Die Käufer werden vermutlich, sobald die App verfügbar ist, ihr Kaufverhalten verändern, meint er. Sie werden sich mit ihren Freunden vernetzen, ihr Outfit unterschiedlich zusammenstellen und ausprobieren, bevor sie es bestellen.

Mit der Technik will Hauswiesner „den Geist des Silicon Valley in Graz aufleben lassen. Wir glauben, dass Österreich so weit ist, dass eine Technologieszene entsteht, die einen international beachteten Einfluss ausüben kann.“

Freilich gelingt der weltweite Einfluss nur über globale Vernetzung, weshalb das Unternehmen mit amerikanischen Partnern zusammenarbeitet und mit dem Silicon Valley in Kalifornien Kontakte hält. Ebenso unterstützt das AplusB-Programm des Technologieministeriums Hauswiesners Neugründung.

Virtuelle Probefahrt

Künftig können Konsumenten dann auch Autos Probe fahren, sie stellen sich Möbelstücke in die Wohnung oder probieren Abendroben an, ohne die Gegenstände eigentlich zu berühren. Die Möglichkeiten scheinen schier unbegrenzt. Menschen können mit der Technologie zur Gänze in virtuelle Umgebungen gesetzt werden. Sie spielen dann in Computerspielen, als echte Person, mit dem virtuellen Messi Fußball, oder kämpfen an der Seite von Johnny Depp im nächsten Piratenfilm mit.

Der amerikanische Vorstand einer Firma kann mittels Telepräsenz neben seinen Mitarbeitern stehen und sich über den Tisch beugen, um in einem Dokument etwas anzuzeigen. Das wirkt dann, als ob die Menschen von Angesicht zu Angesicht zusammenarbeiteten. Und geht über die bekannten, statischen Hologramme aus Film und Fernsehen hinaus.

Bei dieser personenbezogenen Technologie steht der Mensch im Zentrum. „Es ist ein Unterschied, ob man sich mit virtuellen Objekten umgibt oder ob man die echte mit der virtuellen Welt verschmelzen lässt“, differenziert Hauswiesner. Die ersten Lösungen für eine flächendeckende virtuelle Welt können in den nächsten Jahren erscheinen. In letzter Zeit hat sich die Rechenleistung von Computern und auch die von Sensoren für Kameras und Displays ständig verbessert.

Da beinahe jede Person mit leistungsstarken Tablets und Mobiltelefonen ausgestattet ist, können Augmented-Reality-Lösungen im Alltag verankert und Strandspaziergänge als Kurzurlaube ins Wohnzimmer geholt werden. Diese Ziele seien in einigen Jahren technisch umsetzbar, sagt Hauswiesner.

Personen erkennen

Aber nicht nur Automobile oder Möbelstücke können in den nächsten Jahren mit immer besserer Hardware und Software virtuell dargestellt werden. Reale Personen lassen sich mit Gesichts-, Sprach- oder Kleidungserkennungssoftware identifizieren. Das wirkt sich auch auf die Gesellschaft aus. Denn die gesammelten Informationen werden in die erweiterte Realität eingebunden und fließen somit in die reale Welt ein. Im Onlineverkauf oder sozialen Netzwerken können Informationen jeglicher Art ohne das Zutun vom Nutzer zur Verfügung gestellt werden. Unsere Umwelt wird digital aufgerüstet.

Natürlich nur, solange die Menschen die nötige Hardware kaufen. Ohne ein Smartphone, ein Tablet oder einen tragbaren Minicomputer in Form einer Brille funktionieren die Erfindungen nicht. Die Techniker von Reactive Reality haben allerdings „noch nie jemanden getroffen, dem es nicht gefallen hat, was wir machen“, sagt Hauswiesner. Wie bei jeder neuen Technologie müsse man sie mit Maß und Ziel einsetzen, dann käme es zu keinen ernsthaft großen Problemen.

Augmented Reality ist keine Utopie mehr. Die „magischen Spiegel“ stehen kurz davor, aufgehängt zu werden, auch dank österreichischer Innovationskraft. „Sie haben das Potenzial, die Art, wie wir Technologie konsumieren werden, grundlegend zu verändern“, sagt Hauswiesner. Das sei die nächste große Technologierevolution.

LEXIKON

Augmented Reality oder erweiterte Realität ist die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Informationen werden visuell dargestellt. Bilder, Videos und Objekte werden in den Raum projiziert und überlagern somit die echte Welt mit virtuellen Gegenständen. Ganze Gebäude könnten so künftig noch vor dem Baubeginn auf den Grundstücken „widergespiegelt“ werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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