Basenpulver: Sauer ist das halbe Leben

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Kaum eine Nahrungsergänzung hat so viele Freunde und Feinde wie das Basenpulver. Manchen gilt es als Universalheilmittel, andere orten pure Geldmacherei. Eine Spurensuche.

Vierzig Tage lang gilt es laut der lateinischen Kirche zu fasten, bevor mit dem Osterfest der Schinken auf den Teller zurückkehrt. Während der Fleischabstinenz wird oft zu einem Pulver gegriffen: dem Basenpulver. „In den ersten Monaten des Jahres verkaufen wir sehr viel davon“, sagt Monika Aichberger, Vizepräsidentin der Apothekerkammer Österreich. Dahinter verberge sich der Wunsch nach Entgiftung, Entschlackung – und der Verdacht einer bekämpfenswerten Übersäuerung. „Manche Hersteller legen Teststreifen bei, viele Kunden fragen explizit danach und wollen anhand des pH-Werts ihres Harns prüfen, ob sie einen ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt haben oder nicht“, so die Apothekerin. „Das ist aber ein Mythos, denn mit Harntests können nur Momentaufnahmen, aber keine aussagekräftigen Rückschlüsse auf die Gesamtsituation gezogen werden.“

Dennoch hält sich der Trugschluss unter Laien. Seine Wurzeln liegen im 17. Jahrhundert, als der deutsche Arzt Francis de la Boé Sylvius die These des Säuren-Basen-Gleichgewichts formulierte. Demnach rufe ein Ungleichgewicht der sauren und basischen Körpersäfte diverse Krankheiten hervor, weshalb „saure“ Patienten mit Laugen zu neutralisieren seien, „basische“ mit Säure. Die Folge: Diäten. So entwickelte etwa der Japaner Sagen Ishizuka die Makrobiotik, die unverarbeitete Lebensmittel empfiehlt, aber von Milch und tierischen Produkten abrät. Der Österreicher Franz Xaver Mayr klassifizierte die Säure zu Beginn des 20. Jahrhunderts als „das Zellgift schlechthin“ und setzte ihr die Mayr-Kur entgegen, die heute auch als „Milch-Semmel-Kur“ bekannt ist.

"Schlacken" und der "Säuretod"

Der schwedische Biochemiker Ragnar Berg analysierte den Anteil der Säure- und Basenbildner in der Asche von Lebensmitteln. Sein Fazit: Werden bei der Verdauung mehr anorganische Säuren als Basen gebildet, kommt es zu einem Säureüberschuss. Es bilden sich Ablagerungen, sogenannte „Schlacken“, die Stoffwechselkrankheiten bedingen. Im schlimmsten Fall führe dies zum „Säuretod“. Unterstützung erhielt Berg 1931 vom Schweizer Maximilian Oskar Bircher-Benner, der warnte: „Wächst der Säureüberschuss so hoch an, dass die Nahrungsbasen nicht mehr hinreichen, und die Schwelle wird bei einer eiweißreichen Nahrung bald überschritten, so gerät der Organismus nach und nach in Säurenot, bis sich schließlich die Acidose, ein Zustand lebensgefährlicher Säurevergiftung, einstellt.“ Chronische Krankheiten wie „Rheuma, die Arteriosklerose, die Gicht, die Zuckerkrankheit, die multiple Sklerose“ seien die Folge.

Ähnlich, obgleich weit weniger dramatisch, fällt die Aufzählung von Wolfgang Auer aus. „Zu viel Magensäure führt zu einer Gastritis, zu viel Milchsäure zu Muskelkater, zu viel Harnsäure zu Gicht, zu viel Arachidonsäure ist ein Kriterium für rheumatische Erkrankungen“, sagt der steirische Arzt, der vor 19 Jahren das „Basenpulver Dr. Auer“ auf den Markt brachte.

Hilft viel Wasser?

Auch geschwollene Augen und Kopfschmerzen nach einem üppigen Abendessen samt Rotwein seien Folgen einer Übersäuerung. Abhilfe schaffen könne reichlich Wasser – wobei ein Glas durchaus zwei Löffel Basenpulver enthalten dürfe. Zwar handle es sich bei der Mixtur aus unter anderem Calciumcarbonat, Magnesiumcitrat und Kaliumcitrat um kein Medikament, sondern ein Nahrungsergänzungsmittel. Es helfe aber beim Säureabbau. Dies ortet auch Ernährungswissenschaftlerin Eva Unterberger: „Basenpulver neutralisieren die Magensäure, wodurch Sodbrennen kurzfristig reduziert werden kann. Seine Ursache, eine Überproduktion von Magensäure, lässt sich damit aber nicht beseitigen.“ Generell sei „bei abwechslungsreicher, ausgewogener Ernährung eine Mikro-Nährstoffsupplementation nicht nötig und auch nicht sinnvoll“. Nichts abgewinnen kann sie der Berg'schen Schlacken-Theorie: „Im menschlichen Körper gibt es keine Schlacken, diese gibt es nur im Hochofen in der Metallindustrie.“

Das geht der Vizepräsidentin der Apothekerkammer zu weit: „Ich kann mir vorstellen, dass sich Schlacken, also Stoffwechselabfallprodukte, ablagern, etwa im Bindegewebe, und mit Basenpulver leichter in Lösung kommen und ausgeschieden werden“, sagt Aichberger. „Oft berichten Kunden über Erfolge, etwa verminderte Gelenkschmerzen, auch wenn es keine schulmedizinischen Belege dafür gibt.“

Nichts als schöne Worte

„Schön Worte“ sind das für Anton Luger. „Ob Sie Basenpulver nehmen oder nicht, ist völlig egal“, betont der Leiter der klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Med-Uni Wien und erhebt den Vorwurf der „Geschäftemacherei“. „Es klingt natürlich attraktiv, mit Basenpulver gegen böse Dinge wie Alkohol und Fleisch anzukämpfen. Hier handelt es sich jedoch um sehr viel Ideologie und wenig überprüfte Substanz.“ Tatsache sei, so Luger, „dass der Organismus über ein ausgeklügeltes Puffersystem verfügt, um einen ausgewogenen pH-Wert als Ausdruck des Säure-Basen-Haushalts zu gewährleisten“. Als wesentliche Regulationsgrößen nennt er Niere und Lunge. Eingreifen müsse man aus medizinischer Sicht nur in Ausnahmefällen, etwa bei Nierenfunktionsstörungen.

Einen verringerten Fleischkonsum mit einem unausgewogenen Säure-Basen-Haushalt in Verbindung zu bringen, sei jedenfalls verfehlt, so der Mediziner. Generell – und speziell zu Ostern – gelte es, ein Mittelmaß zu finden: „Es ist wie fast überall in der Biologie: Zu wenig ist schlecht und zu viel auch.“

LEXIKON

Basische Ernährung. Um 1913 fand das Konzept der basischen Ernährung Eingang in die Komplementärmedizin. Demnach gibt es Nahrungsmitteln mit Säure produzierenden (u.a. Zucker, Fleisch, Milchprodukte) und basisch wirkenden Anteilen (u.a. Kartoffeln, bestimmtes Obst und Gemüse). Oft wird zusätzlich zum „Basenpulver“ geraten, einem Nahrungsergänzungsmittel aus Mineralstoffen und Vitaminen. Die Schulmedizin konnte bisher die Wirkung dieser Ernährungsweise nicht nachweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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