NHM: Vom Steinöl zum Kaffee im Quantenlabor

(c) Guido Mocafico
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Objekte und Apparate, Bilder und Theorien der Naturwissenschaft: „Das Wissen der Dinge“, eine faszinierende Ausstellung aus den Sammlungen der Universität Wien – präsentiert zu deren 650-Jahr-Jubiläum.

Braune Fläschchen mit einer öligen Flüssigkeit: Nein, prächtig sind sie nicht, die ersten beiden Objekte in der Ausstellung „Das Wissen der Dinge“. Eines der Flakons enthält „Steinöl“ aus „Tyrol“, beim anderen kann man die Aufschrift auf dem gelben Zetterl kaum lesen, wegen der steilen Kurrentschrift, auch weil ein fettiger Fleck drauf ist: „Erdöl“ soll es wohl heißen.

In der Vitrine daneben liegt ein Buch aus dem Jahr 1786 mit dem Titel „Methodische Einteilung mineralischer Körper“, aufgeschlagen auf der Seite über „Unterirdische entzündbare Körper“. „Der in diesen Körpern enthaltene zündbare Stoff“, liest man, „ist entweder ein erdpechiges, mehr oder weniger fließiges Wesen, oder eine einfachere zündbare Substanz, nämlich der Brennstoff, das ist das zündbare Grundwesen aller zündbaren Körper: Phlogiston.“

Spätestens hier ist man gefesselt: Phlogiston! Sicher, man hat irgendwann gelernt, dass es – bevor Lavoisier 1774 den Sauerstoff entdeckt hat – eine Phlogistontheorie gegeben hat, derzufolge bei der Verbrennung ein Stoff namens Phlogiston entweicht. Aber dass sie noch zwölf Jahre später in Lehrbüchern gestanden ist, wiewohl schon leicht umgedeutet, das verblüfft, und man sinniert: Was ist heute unser Phlogiston? Die Dunkle Energie?

Modell der Gebirgsbildung

Es ist ein großes Verdienst dieser Ausstellung, das sie historisch ehrlich ist, dass sie vergangene Irrtümer, überholte Theorien nicht nur zugibt, sondern offensiv zeigt. Etwa auch die Kontraktionstheorie der Gebirgsbildung, die der Geologe Leopold Kober – wiewohl von den Nazis zwangspensioniert – 1940 aufstellte. Man sieht das von Kober selbst liebevoll gefertigte und bemalte Globusmodell, das die Theorie illustriert – kaum 20 Jahre später hat sich die Theorie der Plattentektonik durchgesetzt, die bis heute die Erdkunde regiert.

Naturwissenschaft ist dem Materiellen verhaftet, das mag eine Banalität sein, doch diese von Claudia Feigl aus den lokalen Sammlungen vieler Institute der Uni Wien zusammengetragene Ausstellung führt vor Augen, wie nicht nur die Materialität der Forschungsobjekte die Wissenschaft prägt, sondern auch jene der Messinstrumente und der Modelle. Die hölzernen Modelle vom Ende des 18. Jahrhunderts, etwa einer theoretischen Schraube (ja, die hat es wirklich gegeben) oder einer archimedischen Schnecke, sind grob und subtil zugleich, wie die klassische Mechanik, die sie illustrieren.

Oder die semitransparenten Blütenmodelle aus Gelatine, von Robert Brendel um 1870: Sie erinnern uns heute ein wenig an Pop-Art-Plastiken. Oder die evolutionsbiologischen Studien, die Berthold Hatschek um 1900 an Lanzettfischchen, diesen kopflos gebliebenen Verwandten der Wirbeltiere, betrieben hat: Seine Zeichnungen illustrieren das Grundgesetz Ernst Haeckels – die Entwicklung des Einzelwesens spiegelt die Entwicklung seiner Art wider – fast so eindringlich wie dessen berühmte Bilder.

Fast unheimlich zwischen Anorganischem und Organischem, zwischen Kunst und Wissenschaft, oszillieren die Modelle, die Leopold und Rudolph Blaschka zwischen 1863 und 1890 gefertigt haben: Sie haben die detailreichen Formen von Tieren – vor allem Meerestieren, die sich schwer konservieren lassen, aus Glas geblasen. Wie sie das taten, dieses Wissen ging nach ihrem Tod verloren.

Allmählich kommt man beim Abschreiten des Parcours, der sich von 1760 bis ins Heute zieht, zu Techniken, die Älteren schon persönlich bekannt sind. Man sieht etwa eine 2-D-Chromatografie aus den Neunzigerjahren, fleckig und vergilbt, wie sie gehört, anhand der offenbar die für die Entwicklungsbiologie so wichtigen Hox-Gene erforscht wurden. Oder ein Dreiding-Stereomodell aus dem Jahr 1985: Mit diesem eisernen Spielzeug versuchte, wer nicht mit guter räumlicher Vorstellungskraft gesegnet war, sich die Rätsel der Stereochemie zu erschließen . . .

Am Ende wird's dann doch ein bisschen immateriell: Die letzte der 22 Stationen führt per Bildschirm in ein virtuelles Quantenlabor, wo man – erraten! – u. a. das Doppelspaltexperiment probiert. Aber sich auch anders bewähren darf: „Deine Chefin hat gerade im Labor angerufen, sie wird in fünf Minuten da sein“, steht auf dem Bildschirm: Jetzt müsse man die Kaffeetassen wegräumen, aber geschwind!

Man tut auch das brav – und denkt sich: Dieser schmutzigen Materie entkommt man einfach nicht. Nicht einmal im Cyberspace.

„Das Wissen der Dinge“, bis 31. August im Saal 50 des Naturhistorischen (ganz oben). Zu den 22 Stationen – von „Naturgeschichte um 1760“ bis „Quantenphysik um 2015“ – kommen zwei interessante Zeitleisten: internationale Meilensteine der Naturwissenschaften und Meilensteine der Geschichte der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2015)

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