Elf Meter pro Sekunde: Banknoten blitzschnell überprüfen

(c) wodicka@aon.at
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Für viele industrielle Verfahren entwickeln Forscher spezielle Hochleistungskontrollen. Ein in Wien entwickelter Zeilensensor ist der schnellste der Welt.

Lieber als das Schlagwort Industrie 4.0 ist mir der Begriff Produktion der Zukunft.“ Die präzise Unterscheidung zwischen einer Vernetzungsvision und der täglichen Realität, die Dorothea Heiss mit dieser Formulierung trifft, bezieht sich auf praktisch alle Details in der Arbeit am Austrian Institute of Technology (AIT).

Die studierte Diplomingenieurin, gegenwärtig für die Geschäftsentwicklung der optischen Qualitätsinspektion für industrielle Produktionen in ihrer Business Unit zuständig, schätzt die Grundlagenforschung. Aber hört man ihr länger zu, merkt man: Begeistert ist sie vom Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Forschung: „Oft kommt von einem Kunden eine vage Anfrage. Wir sind dann gefordert, mit viel Marktkenntnis zu überprüfen, ob es einen breiten Bedarf gibt.“

Weltrekordhalter entwickelt

Genau so verhielt es sich mit einer Entwicklung, die das AIT vor Jahren in Kooperation mit einem Institut des deutschen Forschungsriesen Fraunhofer in Angriff genommen hat. Das Ergebnis war der Zeilensensor Xposure, mehr als doppelt so schnell wie der bisherige Weltrekordhalter. Wozu Zeilenraten bis zu 600 Kilohertz, das entspricht 600.000 Belichtungen pro Sekunde, gut sind? „Es geht nicht darum, Rekorde aufzustellen, sondern um höchste Qualität. Nur damit kann sich Österreich gegenüber Billigproduktionsländern behaupten“, sagt Heiss.

Als Beispiel nennt sie den AIT-Kunden Berndorf Band, der Werkzeuge zur Produktion von Bildschirmfolien nach Ostasien liefert. Da sei Kontrolle höchster Qualität angesagt. „Die optische Qualitätsinspektion stellt sicher, dass selbst kleinste Fehler am Band – und damit schadhafte Folien in der Fabrik – vermieden werden können“, so Heiss.

Damit diese hohe Genauigkeit auch bei den steigenden Produktionsgeschwindigkeiten möglich ist, werden schnelle Kameras benötigt. Der bei AIT entwickelte Zeilensensor könne zum Beispiel bei der Überwachung von Metalloberflächen selbst Objekte im Mikrometerbereich bei einer Durchlaufgeschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde noch auflösen. Damit ist Geschwindigkeit direkt in höhere Effizienz umsetzbar.

Ein anderes Beispiel aus der Praxis: Kleinste Fehlstellen auf Schienen werden bei 300 Kilometern pro Stunde entdeckt. Mit der sehr speziellen 60-Zeilen-Architektur gelinge es, auch Wellenlängen wie Ultraviolett- und Infrarotlicht zu erfassen oder alternativ die Oberfläche aus einer Unzahl von Perspektiven „aufzunehmen“. Mit diesem Effekt als Lichtfeld-Kamera biete „Xposure völlig neue Möglichkeiten, um spezielle Oberflächenstrukturen, Kippeffekte wie in Sicherheitsdokumenten oder Hologrammen zuverlässig zu erfassen.“

Und damit sind wir schon bei einer der AIT-Spezialitäten: Die Experten auf der Donauplatte neben der Wiener UNO-City sind Weltmarktführer bei Technologien zur Prüfung von Banknoten, laut Dorothea Heiss „einer kleinen, aber feinen Marktnische mit zahlreichen Spin-off-Möglichkeiten in andere Branchen“.

Sensoren an der Grenze

Bei der Überprüfung der Qualität von Sicherheitsmerkmalen wie Hologrammen mit Kippeffekten im Produktionsprozess stoßen heute verfügbare Sensoren an Grenzen. Ihre Geschwindigkeit reicht oft nicht aus, um in Echtzeit zu prüfen. Dazu wurde am AIT ein eigener Lichtfeld-Zeilenscanner entwickelt. Was auch notwendig war, rasen doch die Scheine mit elf Meter pro Sekunde, also etwa 40 Kilometern pro Stunde, an der Kamera vorbei. Das System kann trotzdem verschiedene Blickwinkel eines aufgenommenen Objekts erstellen. Aus diesen Lichtfeld-Daten lassen sich Tiefeninformationen errechnen, schärfere Bilder mit einem erhöhten Signal-Rausch-Verhältnis produzieren und sogar eine nachträgliche Re-Fokussierung auf virtuelle Ebenen durchführen.

Dem Demonstratorsystem bei der Hausmesse hatten es besonders die Sicherheitsmerkmale eines 50-Euro-Scheins angetan. Heiss: „Die Redundanz quasi überflüssiger Aufnahmen der Flächenkamera hat nicht nur viele Verbesserungen wie etwa bei der Schärfe gebracht, erstmals konnten sogar Kippeffekte im Sicherheitsdruck überprüft werden.“

Leicht vorstellbar, dass derartige Datenmengen, die noch dazu „bewegt“ werden müssen, herkömmliche Computer vor fast unlösbare Aufgaben stellen. Am AIT wurde deshalb für die sogenannte 3-D-Inspektion eine Echtzeit-Bildverarbeitung entwickelt. Sie arbeitet mit dynamischer Zeitplanung und genauer Kontrolle des Datenflusses und nutzt die vorerst acht Rechnerkerne optimal. Auch der Algorithmus für dieses weiter skalierbare Embedded-Multicore-System wurde im Haus erarbeitet.

In Textilindustrie nutzen

Eine anders geartete Methode nennt sich Flexwarp. Dabei handelt es sich um ein hochpräzises System zur Bildregistrierung, das überall dort eingesetzt werden kann, wo jede Blickkontrolle wegen der hohen Geschwindigkeiten – etwa in der Textilindustrie – unmöglich wird.

Die Technologie ermöglicht eine extrem genaue Korrektur von geometrischen Bildverzerrungen in Echtzeit. So könne man Vergleiche mit einer Vorlage durchführen, um unerwünschte Produktionsabweichungen zu erkennen. Damit könne, so Heiss, oft schon regelnd eingegriffen werden, bevor ein Fehler überhaupt auftaucht.

Zurück zur Brücke zwischen Wirtschaft und Forschung: Dorothea Heiss kennt viele Varianten des Zusammenwirkens. Natürlich sei es am schönsten, wenn ein gut finanzierter Forschungsauftrag erteilt werde. „Aber manchmal hilft es einem Kunden schon, wenn man ihm sagt, was es alles auf dem Markt gibt“, sagt sie.

Gibt es mehrere technologisch ähnliche Anfragen, müsse man überlegen: Brauchen wir eine neue Technologie auf einem bekannten Markt oder eine bekannte Technologie auf einem neuen Markt? Heikel kann es werden, wenn Technologie und Markt gleichzeitig neu sein müssen. Dann ist das Risiko schlechter kalkulierbar.

LEXIKON

Fabrik der Zukunft. Die Veränderungen gehen über Automatisierung in der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0), bei der Produktionsanlagen ins Internet der Dinge eingebunden werden, hinaus. Ein deutsches Softwarehaus ortet fünf prägende Faktoren: Neben stärkerer Lokalisierung und fortschreitender Digitalisierung sind das die Ausweitung von Kooperationen, flexiblere Konfigurierbarkeit und vor allem der kulturelle Wandel: „Die Außenwelt wird Fabriken nicht länger als staubige und ölverschmierte, sondern vielmehr als offene und stark vernetzte Orte wahrnehmen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2015)

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