Ägyptischer als die Ägypter

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Claus Jurman erforscht ein jahrhundertelanges Zentrum Altägyptens: Memphis. Die Quellen sind zerstreut und zum Teil unter Dörfern oder in militärischen Sperrzonen vergraben.

Memphis ist ein geläufiger Name. Zigaretten, Musicals, Schriftarten und Tänze schmücken sich mit dem Wort ebenso wie mehr als ein Dutzend Siedlungen in den USA. Nicht ohne Grund. Memphis war eine der ersten Hauptstädte Altägyptens und damit der Menschheit.

Bereits in der Frühzeit, also im dritten Jahrtausend vor Christus, war sie Schnittstelle des langen Niltales Oberägyptens und des Nildeltas. Dadurch verband sie jahrhundertelang zwei unterschiedliche Landesteile. Memphis ist eine der wichtigsten archäologischen Fundorte. Aber es ist schlecht erforscht: „Es gibt wenig systemische Grabung. Große Teile der Tempelanlagen waren lange Zeit militärisches Sperrgebiet, und die Dörfer rund um die antiken Ruinen weiten sich aus“, sagt Claus Jurman, Lehrbeauftragter am Wiener Institut für Ägyptologie. Er promovierte 2014 mit sub auspiciis, der höchsten Studienauszeichnung Österreichs. Erhaltene Funde sind weltweit zerstreut, etwa in Museen oder Archiven. Für seine Doktorarbeit „Memphis in der Dritten Zwischenzeit“ musste er weite Wege in Kauf nehmen.

Keine Bomben, aber Raubgrabungen

Auf die Frage, ob Althistoriker wegen der schwierigen Quellenlage verzweifeln, sagt Jurman: „Man ist daran gewöhnt. Immerhin wird das Kulturgut, anders als in Syrien, nicht zerbombt.“ Aber seit der Revolution 2011 wird die Lage in Ägypten zunehmend ernster. Raubgrabungen nehmen zu. Für die Forschung sei das natürlich frustrierend, aber nicht zu verhindern. Ägyptologen haben mit derlei zeitgeschichtlichen Geschehen seit jeher zu kämpfen: Gezielte Forschung verhindert weiteren Wissensverlust über eine Stadt, die, nicht nur geografisch, lange Zeit der Mittelpunkt Ägyptens war.

Hier wurden im Alten Reich (ca. 2700–2160 v. Chr.) die königlichen Grabanlagen – die berühmten Pyramiden – errichtet. Hier etablierte sich das Verwaltungs- und Kulturzentrum. Die Stadt trotzte den Flussbettveränderungen des Nils. Sie wanderte mit dem Wasserlauf. Sie bot politischen Veränderungen die Stirn. Selbst als die Könige im Neuen Reich (ca. 1550–1070 v. Chr.) ihre Gräber und die Hauptstadt nach Theben verlegten oder als Ramses II. (1290–1224 v. Chr.) seine Residenz im Ostdelta errichtete, blieb Memphis Verwaltungszentrum und kulturell tonangebend. Zudem lag hier der militärische Brückenkopf des Landes. Auch spätere Machthaber, etwa die Perser, wussten, dass Ägypten erst fällt, wenn Memphis fällt.

Jurmans Forschung behandelt eine Zeit, als neue, fremde Eliten nach Memphis kamen, zunächst die Libyer und die aus dem Sudan stammenden Kuschiten, später die aus dem heutigen Irak kommenden Assyrer. Die Dritte Zwischenzeit (ca. 1070–664 v. Chr.) galt in der Forschung lang als Zeit des Niedergangs, weshalb sie vernachlässigt wurde. Dabei ist das zum einen gerade die Zeit, als Ägypten in den Chroniken des Alten Testaments auftaucht und zum anderen ein kulturelles Phänomen beginnt, das Archaismus genannt wird: Die ägyptischen Eliten gingen auf klassische, bis ins Alte Reich zurückreichende Kulturformen zurück. Sie gestalteten ihre Tempel, Gräber und Schriften wieder traditionell altägyptisch.

Ein zentrales Ergebnis von Jurmans Forschung ist, dass gerade die Libyer diesen Archaismus beeinflussten. Forscher vermuteten lang, dass ägyptische Priester den beginnenden Fremdherrschern zumindest kulturell etwas entgegensetzen wollten und antiquierte Formen wiederbelebten, aber „gerade die libyschen Fürsten setzen auf den Kulturtraditionalismus“, sagt Jurman. Die Fürsten adoptierten eine künstlerische Avantgarde. Sie wollten den Leuten demonstrieren, dass sie „ägyptischer waren, als die Ägypter“, beschreibt es der Jungforscher.

Richtige Forschung stellt Fragen

Der Wiener zerlegt alte Hypothesen, etwa bei Stammbäumen. Er konnte in Inschriften 130 Personen mit Sicherheit zuordnen. Das stellt Stammtafeln, etwa von Hohepriestern, zum Teil auf den Kopf. Manche können um 150 Jahre umdatiert werden. Das wirft neue Fragen auf. Jurman weiß aber, dass er richtige Forschung betreibt, wenn „mehr Fragen auftauchen, als ich beantworten kann“.

Papyrusschriften existieren nicht mehr. Die steinernen Dokumente sind vielfach verborgen. Dabei sagen erhaltene Stelen vieles über die Verteilung von Ämtern, Ländereien, Einkünften und Machthaber aus. Priesterposten waren mit Besitz verbunden, weshalb religiöse Relikte auch weltliche Quellen sind: Die Artefakte von Memphis sind großteils unerforscht oder verschwinden langsam. Der Name Memphis bleibt – zumal darin das altägyptische Wort für „bleiben“ steckt.

ZUR PERSON

Claus Jurman schloss sein Studium der Ägyptologie und Klassischen Archäologie an der Universität Wien 2004 ab. Er absolvierte danach ein Postgraduate-Studium an der University of Birmingham in England, das er 2006 mit dem Titel Mphil Egyptology beendete. Nach Wien zurückgekehrt, arbeitete er, betreut von Manfred Bietak, an seiner Doktorarbeit „Memphis in der Dritten Zwischenzeit“.

Alle Beiträge unter: diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2016)

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