Die ersten Wiener jagten Mammuts

Siegsdorfer Mammut
Siegsdorfer Mammut(c) Wikipedia
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Forscher untersuchten erstmals alle eiszeitlichen Knochenfunde Wiens. Nun wissen sie genauer, wo einst Mammuts lebten. Zugleich gelang ein Nachweis der ältesten Wiener.

Das müssen Überreste von Riesen sein, dachten die Menschen, als 1443 beim Aushub für den Nordturm des Stephansdoms der Oberschenkelknochen eines Mammuts auftauchte. „Sie konnten den Fund nicht einordnen, ahnten noch nichts von Mammuts oder der Eiszeit“, erzählt Christine Neugebauer-Maresch vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie (Orea) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Archäologin benannte ihr Forschungsprojekt daher auch nach den biblischen Riesen Gog und Magog. Das Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit war, die eiszeitlichen Relikte Wiens erstmals systematisch zu erfassen.

Im Mittelpunkt sollten aber nicht allein die mehrere Tonnen schweren, längst ausgestorbenen Rüsseltiere stehen. Die Forscher fragten sich: Wo waren eigentlich die eiszeitlichen Jäger – wo war der Mensch? Bisher gab es nämlich kaum gesicherte Nachweise des paläolithischen Menschen im Raum Wien. „Es gibt in der Region besonders viele Knochenfunde von Tieren. Wir wussten: Das kann, muss aber kein Hinweis auf Menschen sein“, sagt der prähistorische Archäologe Oliver Schmitsberger.

Tierknochen bei Feuerstelle

Die zahlreichen Funde waren dennoch die wichtigste Quelle für die Forscher. Denn heute in Wien mit archäologischer Prospektion, also berührungslosen Methoden, unter die Erde zu schauen, ist kaum möglich: Die Stadt ist zu verbaut. Die Wissenschaftler studierten daher, unterstützt von der Stadt Wien, mehr als 400 verschiedene eiszeitliche Tierknochen aus dem Naturhistorischen Museum und anderen Sammlungen, darunter auch Bezirksmuseen.

Und tatsächlich: An einzelnen Stücken, etwa einem Mammutwirbel und einem Pferdeknochen, fanden sie Zerlegespuren aus Menschenhand. Und in einem Stammersdorfer Weinkeller wies die Anhäufung der Tierknochen auf eine Feuerstelle hin. „Die Funde sind etwa 20.000 bis 40.000 Jahre alt, dürften also aus der Jüngeren Altsteinzeit stammen“, sagt Projektleiterin Neugebauer-Maresch. Damit ist nun jedenfalls ein Nachweis des Menschen in der Eiszeit im Raum Wien gelungen. Über den Sommer erfolgt nun noch die genaue Datierung.

Wie sich zeigte, gab es Mammutknochen in fast allen eiszeitlichen Fundstellen: am Rand Wiens besonders häufig in den Ziegeleigruben bei Heiligenstadt. Überhaupt stammt ein Großteil der Funde aus dem Norden, etwa aus dem heutigen Floridsdorf, Stammersdorf oder von den südlichen Abhängen des Bisamberges. Von dort spannt sich eine bogenförmige Zone über die zur Donauebene hin abfallenden, lössbedeckten Ausläufer des Wienerwaldes im 17., 18. und 19. Bezirk, über die Schmelz zwischen Ottakringer Bach und Wienfluss bis zum Wienerberg im Süden.

Hier zogen einst Mammuts durch die Landschaft, die sich oft wandelte. Denn kalte und warme Phasen wechselten sich ab und damit auch die Vegetation.

Gletscherfreie Gebiete gab es aber während der gesamten Eiszeit, so Neugebauer-Maresch. Dort wuchsen verschiedene Gräser und Kräuter. Die Kuhschelle, ein Hahnenfußgewächs, hielt sich bis heute. Sie blüht, sobald der Schnee geschmolzen ist. Gab es genug Wasser, gediehen auf den „Mammutsteppen“ aber auch Sträucher und Bäume.

Die Wiener Pforte

Der Raum Wien, das niederösterreichische Umland und der Donauraum dürften für die eiszeitlichen Jäger- und Sammlergesellschaften jedenfalls bedeutende Regionen gewesen sein: Die geografisch auffallende Wiener Pforte, das Durchbruchstal der Donau, könnte den umherstreifenden Gruppen als Landmarke und damit als wichtige Orientierung gedient haben, vermutet Neugebauer-Maresch.

LEXIKON

Die Eiszeit begann vor rund 2,3 Millionen Jahren. Damals bildeten sich in weiten Teilen der Erde Gletscher. Zwischendurch gab es immer wieder längere Perioden mit warmem Klima, die sich auf Fauna und Flora auswirkten.

Wiener Forscher haben nun einen weißen Fleck in der Geschichte der österreichischen Eiszeitforschung gefüllt. Sie fanden Nachweise für frühe Menschen im Raum Wien. Ihre Erkenntnisse zeigen aber auch, wo einst Mammuts lebten. Das lässt sich anhand von Knochenfunden nachvollziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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