Wir sind klug genug, um zu wissen, wie klug Tiere sind

THEMENBILD: EICHHOeRNCHEN IN SCHOeNBRUNN
THEMENBILD: EICHHOeRNCHEN IN SCHOeNBRUNNAPA/ANGELIKA WARMUTH
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Ist es unfair zu fragen, ob Eichhörnchen bis zehn zählen können? Muss man das Nüsseknacken von Schimpansen zur Kultur erklären? Versuch einer Verteidigung des Unterschieds zwischen Tier und Mensch.

Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? Das fragte der Philosoph Thomas Nagel 1974 in einem bis heute viel zitierten Essay. Wir können nur antworten: Wir wissen es nicht. Eine Welt aus reflektiertem Infraschall (Echolokation) können wir uns nicht vorstellen, genauso wenig, wie sich Fledermäuse vorstellen können, dass sich Menschen vor allem am Licht orientieren und daran, wie dieses an Gegenständen gebrochen wird.

Aber wir wissen, dass Fledermäuse sich durch Echolokation zurechtfinden, wir verstehen das Prinzip, wir können es beschreiben, berechnen. Die Fledermäuse haben keine Ahnung von der Kapazität unseres Sehsinns, und es besteht der begründete Verdacht, dass sie auch nichts darüber wissen, wie Licht mit Magnetismus (den sie im Gegensatz zu uns spüren) zusammenhängt.

Naive Polemik? Mag sein. Aber eine passende Antwort auf die umgekehrte Polemik, die Verhaltensforscher wie Frans de Waal üben, holzschnittartig vergröbert in einem Satz, mit dem die Uni Wien dessen Vortrag ankündigt: „In den vergangenen Jahren sind die Ansprüche des Menschen auf seine Einzigartigkeit Stück für Stück gefallen.“

Denn, so die Argumentation, die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen seien gar nichts Besonderes, und Tiere sind viel klüger als wir glauben. Entsprechend fragt Frans de Waal im Titel seines jüngsten, kürzlich erschienenen Buchs: „Are we smart enough to know how smart animals are?“

Er offenbar schon. Er weiß es auch. Und er weiß, dass andere es wissen. „Nagel hätte seine scharfsinnigen Überlegungen nie schreiben können, wenn er nicht von der Echolokation gehört hätte, die nur entdeckt worden ist, weil Wissenschaftler versucht haben, sich vorzustellen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, und dabei tatsächlich erfolgreich waren. Das ist einer der Triumphe der Fähigkeit unserer Art, außerhalb der Box ihrer Wahrnehmungen zu denken.“ Dieser gewundene Satz ist ein schönes Beispiel für die rekursive Struktur unseres Denkens und Redens (Ich weiß, dass er weiß, dass sie entdeckt haben, wie es ist . . .); und er zeigt, dass de Waal sehr wohl weiß, was unseren Intellekt einzigartig macht. Er will den – wahrscheinlich durch die Sprache angestoßenen – qualitativen Sprung vom tierischen zum menschlichen Geist nur nicht sehen; das wäre für ihn wohl, wie seine Zunft gern sagt, Speziesismus, unangebrachte Bevorzugung unserer Art.

Wir müssen uns die Nüsse nicht merken

Dass wir Menschen so viel Wert auf abstraktes Denken und Sprache legen, sei „nur ein Weg, das Problem des Überlebens anzugehen“, schreibt er. Und mahnt: „Es scheint höchst unfair zu fragen, ob ein Eichhörnchen bis zehn zählen kann, wenn es im Leben eines Eichhörnchens nicht wirklich aufs Zählen ankommt.“ Denn es gebe nicht nur eine Art von Kognition, sondern viele, und jede sei eine Anpassung an eine bestimmte Umwelt. Das Eichhörnchen könne vielleicht nicht zählen, sich aber ganz wunderbar merken, wo es seine Nüsse versteckt hat. Da seien wir ihm weit unterlegen, sagt de Waal. Was er nicht sagt: Wir können diese kognitive Schwäche dadurch kaschieren, dass wir uns die Verstecke aufschreiben, fotografieren, womöglich mit Google Earth orten . . .

Frans de Waal freilich ist mehr davon beeindruckt, wie Schimpansen harte Nüsse mit Steinen knacken, das nennt er geradezu ehrfürchtig „one of the most complex tool skills“. Wir seien, schreibt er, „nicht die Einzigen, die eine Steinzeit erlebt haben: Unsere nächsten Verwandten leben immer noch in einer.“ Damit hat er es wieder einmal, ohne es zu wollen, auf den Punkt gebracht: Affen mögen eine Kultur haben – de Waal besteht darauf, diesen Begriff so auszuweiten –, Menschen haben eine Kulturgeschichte. Den Unterschied möchte man, wie wir Speziesisten gern sagen, Klavier spielen können . . .

Vortrag: Frans de Waal spricht am Freitag, 10. Juni, um 15 Uhr im Großen Festsaal der Uni Wien über „Cognitive Continuity: A Kingdom Full of Special Mental Capacities“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2016)

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