Die sozialen Grenzen des guten Geschmacks

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Themenbild(c) Die Presse - Clemens Fabry
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Inwieweit beeinflusst das Umfeld, wie wir Kunst wahrnehmen? Das hängt davon ab, von wem das Urteil stammt. Ein dänisch-österreichisches Forscherteam wies zugleich nach, dass uns gefällt, was wir für teuer halten.

Warum lassen Forscher ausgerechnet Zahnmedizinstudenten Kunst beurteilen? Weil sie sich, zumindest vom Fach her, nicht damit auskennen. Und wenn doch, wurden sie ausgesiebt. So wollten die Wissenschaftler aus Wien und Kopenhagen sicherstellen, dass die Expertise der Versuchspersonen die Forschungsergebnisse nicht verzerrt. Schließlich ging es in den Experimenten darum, zu untersuchen, ob und wie sich Menschen von anderen in ihrem Kunsturteil beeinflussen lassen.

Die Forschung fokussierte bisher eher darauf, wie ein Kunstwerk direkt auf eine Person wirkt: also etwa, ob sie es ästhetisch findet. Das sei zu simpel, fanden die Forscher. „Sehr viele Besucher gehen gemeinsam mit Partnern, Freunden oder in größeren Gruppen ins Museum oder in die Galerie und sind dort wiederum von Menschen umgeben“, sagt Michael Forster vom Institut für psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Uni Wien. Es lag also für ihn und Matthew Pelowksi, der das Forschungsprojekt von Kopenhagen mit nach Wien brachte, nahe, nachzuforschen, wie sehr das Umfeld beeinflusst, was wir mögen – und was nicht.

Kunstschau im Seminarraum

Die Wissenschaftler gingen mit den Studenten dazu aber nicht ins Museum. Die insgesamt 133 Teilnehmer der Studie betrachteten in einem Seminarraum 90 verschiedene Bilder für jeweils sieben Sekunden. „Das klingt wenig, reicht aber für einen ersten Eindruck“, sagt Forster. Werke von Berühmtheiten wie Salvador Dalí und Pablo Picasso zählten dabei aber eher zur Minderheit. Die Forscher präsentierten vor allem unbekannte Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, die Motive reichten vom Porträt eines Hundes bis zum Suizid.

Die Studenten beurteilten jedes Bild auf einer siebenstufigen Skala von „gefällt mir gar nicht“ bis „gefällt mir sehr gut“. Der Clou: Sie wurden vorher in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine sah die Bilder aufgeteilt in sechs Blöcke und erfuhr jeweils vorab, wie eine andere soziale Gruppe – und zwar Kunstexperten, Studienkollegen in ähnlichem Alter oder Studienabbrecher und Langzeitarbeitslose – sie angeblich eingeschätzt hatte. Die Kontrollgruppe bewertete die Bilder ohne Vorinformationen.

Die Ergebnisse zeigen, dass den Testpersonen ein Bild vor allem dann besonders gefiel, wenn es auch Kunstexperten und Kollegen mochten. Gefiel es diesen beiden Gruppen nicht, änderte das aber nichts an der Wahrnehmung. Anders jedoch das Ergebnis, als man annahm, die Bewertung käme von Langzeitarbeitslosen und Studienabbrechern: Mögen diese ein Bild, lehnen die Versuchspersonen es eher ab. Umgekehrt gefielen den Versuchspersonen Bilder trotzdem – oder vielleicht erst recht – wenn Langzeitarbeitslose und Studienabbrecher sie ablehnten. Die Teilnehmer grenzten sich also klar von der Meinung der sozial eher unattraktiven Gruppe ab. „Vermutlich geht man davon aus, dass sich diese mit Kunst nicht auskennt“, meint Forster.

Was viel kostet, ist viel wert

Aber nicht nur der soziale Status der Mitmenschen bestimmt die Wahrnehmung von Kunst. Auch die Annahme, wie viel etwas wert ist, färbt das Urteil ganz entscheidend mit. Dazu informierten die Wissenschaftler die Kunstlaien in einem zweiten Experiment bei der Präsentation der Bilder über die bei Auktionen erzielten Preise der gezeigten Werke. „Wobei die billigsten bei 20 bis 40 Millionen Euro lagen, die teuersten bei 200 bis 250 Millionen“, erzählt Forster. Alles fiktive Werte freilich, doch dabei zeigte sich, dass Erkenntnisse aus der Konsumentenforschung zu Luxusgütern, etwa zu Autos, wohl auch für die Kunst gelten dürften: „Den Teilnehmern gefiel eher, was teuer war“, fasst Forster zusammen. Die Erkenntnisse veröffentlichte die Forschergruppe kürzlich im „Psychology of Aesthetics, Creativity and the Arts“.

Für Pelowksi stützen die Befunde die Theorie der sozial konstruierten Unterschiede des französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Demnach benutzen Menschen ihren Geschmack bei Kunst, um die Zugehörigkeit zu einer begehrten sozialen Gruppe zu zeigen. Oder um sich von einer für sie unattraktiven Gruppe zu distanzieren.

IN ZAHLEN

133Zahnmedizinstudenten wurden für die Experimente in zwei Gruppen geteilt. Eine erfuhr bei der Präsentation von Kunstwerken im Experiment, wie andere soziale Gruppen diese einschätzten. Die Kontrollgruppe beurteilte die Werke unvoreingenommen.

90Bilder wurden präsentiert. Ihr Preis wurde in einem zweiten Experiment mit 20 bis 250 Millionen angegeben. Sowohl die Einschätzung anderer als auch der – vermutete – Wert beeinflussten die Wahrnehmung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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