Keine überzogene Hoffnung wecken

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PERU-BRAIN(c) APA/AFP/ERNESTO BENAVIDES (ERNESTO BENAVIDES)
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Im Labor gezüchtete Organmodelle sind eine neue Art der Biologie. Der Umgang mit solchen Organoiden braucht von Beginn an klare ethische und rechtliche Regeln.

Organoide haben eine Revolution in der Wissenschaft ausgelöst, weil man Krankheiten ganz neu erforschen kann“, sagt Knoblich. Diese Revolution soll nun ethisch und rechtlich korrekt begleitet werden. Organoide sind dreidimensionale Strukturen in Laborschälchen, die aus menschlichen Stammzellen wachsen und die in ihrer Funktion und Zusammensetzung einem menschlichen Organ entsprechen.

Wiener Forscher um Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften sind führend auf dem Gebiet der Gehirnorganoide. Etwa erbsengroß werden die Gewebebälle im Labor, die in ihrer Funktion einem embryonalen menschlichen Gehirn entsprechen. Gemeinsam mit dem Niederländer Hans Clevers, der dafür weltbekannt ist, Darm-, Magen- und Leberorganoide aus Patientenzellen wachsen zu lassen, hat Knoblich nun im Fachmagazin „Science“ Richtlinien veröffentlicht, welche ethischen Fragen hierbei zu beachten sind.

„Der Organismus, der uns eigentlich interessiert, ist der menschliche Körper. An ihm können wir aber keine Experimente machen“, sagt Knoblich. Also nutzt die Wissenschaft seit jeher Modellsysteme – bisher Tiermodelle. „Doch wenn ich in einer Maus einen Tumor erzeuge und ein Medikament finde, das in der Maus den Tumor zerstört, heißt das nicht, dass dieses Medikament im Menschen den gleichen Erfolg bringt“, so Knoblich. Hinzu kommen ethische Streitpunkte, vor allem, wenn es um „höhere“ Tierarten wie Katze, Hund oder Affe als Versuchstiere geht.

Tierversuche damit verringern

Daher hoffen viele, dass Organoide die Heilsbringer sind, durch die man auf Tierversuche gänzlich verzichten könnte. „Unser Artikel zeigt, dass man diese überzogene Hoffnung nicht fälschlich wecken soll“, so Knoblich. Die Organoidforscher stellen klar, dass man durch Organmodelle im Labor zwar die Zahl der Tierversuche verringern wird. „Aber man kann die Tiermodelle nicht ganz ablösen.“ Denn ein Organoid ist immer nur die Abbildung eines einzelnen Organs. Viele Prozesse betreffen aber den Körper mit all seinen Organen. Um solche Abläufe zu untersuchen, braucht es weiterhin Tiere. „Trotzdem sind wir überzeugt, dass durch Organoide der gesamte pharmazeutische Prozess des Verstehens und Heilens von Krankheiten stark vorangetrieben wird“, so Knoblich. Vor allem der kritische Schritt, Ergebnisse aus dem Tier auf den Menschen zu übertragen, kann durch Organoide erleichtert werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Publikation ist, dass Organoide nicht die Hoffnung schüren sollen, die Forschung könnte ganz auf embryonales Gewebe verzichten. „Dies ist vor allem in den USA ein Thema“, erklärt Knoblich. Der Streitpunkt sind Zellen aus Embryos, die aus natürlichen Aborten – also weder von Schwangerschaftsabbrüchen noch von überschüssigen Embryos in künstlichen Befruchtungen – gewonnen werden und der Forschung dienen können. „Wir als Organoid-Experten widersprechen dem Argument, das von fundamentalen religiösen Bewegungen und auch unter der neuen Präsidentschaft befürwortet wird, dass man auf solches embryonales Gewebe gänzlich verzichten kann, weil es heutzutage Organoide gibt“, sagt Knoblich, der nach der Publikation der neuen Leitlinien zum Einsatz von Organoiden bereits vom US-Kongress kontaktiert wurde. Überhaupt ist das Feedback auf den Artikel groß, die neuen Richtlinien sollen zu verstehen geben, dass Gesetze bald geändert werden müssen.

„Wichtig ist etwa, dass Ethikkommissionen in Zukunft die Zustimmung von Patienten einholen, ob aus ihren entnommenen Zellen Organoide wachsen dürfen“, sagt Knoblich. Und man müsste sich auch Datenschutzrechtliches überlegen: Wie kann man z. B. medizinische Erkenntnisse, die an Organoiden aus Biobanken gewonnen werden, dem ursprünglichen Zellspender zukommen lassen?

Gesetzt den Fall, man findet an einem im Labor gezüchteten Gehirn, das jahrelang in einer Biobank gespeichert wurde, einen Durchbruch, um eine Krankheit zu heilen, die der Patient hatte, von dem die Stammzellen für dieses Organoid stammen. Hier müsste man rechtliche Rahmenbedingungen finden, damit aus dem anonymen Spender ein auffindbarer Mensch wird, der gezielt von der Forschung profitieren kann. [ IMBA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2017)

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