Amateurvideos zeigen Wiener Alltagsgeschichten

Aelterer Mann beim Fernsehen
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Historiker der Österreichischen Mediathek sammelten drei Jahre lang private Videoaufnahmen. Sie zeigen das Leben der Wiener ab den 1980er-Jahren – und wie es sich veränderte.

In den frühen 1980er-Jahren fuhren die Wiener gern an den Badestrand nach Italien. Nach und nach gingen sie auf Fernreisen, begannen, die Welt zu entdecken. „Der Blick der Leute auf die Welt änderte sich“, erzählt Gabriele Fröschl. Die Leiterin der Österreichischen Mediathek ist selbst Historikerin. Sie koordinierte drei Jahre lang ein vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) gefördertes Projekt, in dem die Wiener Stadtgeschichte neu betrachtet wurde.

„Einerseits ging es darum, das Leben der Wiener in Wien zu erfassen, andererseits wollten wir aber auch zeigen, wie sie reisten“, sagt Fröschl. Man habe überlegt, was an Überlieferungen der Alltagsgeschichten in den Archiven fehle, und festgestellt, dass es bei privaten Videokassetten eine Lücke gibt. Weil sich aber gerade diese nicht lang halten, galt es, die Quellen in das Archiv zu bringen, bevor es zu spät ist. Über die Presse und Aufrufe über Amateurfilmvereine sammelte man 3000 Videokassetten. Auch die Entwicklungen im migrantischen Milieu interessierten die Forscher. Hier sei es jedoch ohne persönlichen Zugang schwierig gewesen, an Material zu gelangen.

Fröschl und ihr dreiköpfiges Team sichteten das gesamte Material. Insgesamt 3900 Stunden wurden inhaltlich aufgearbeitet und in einer Datenbank erfasst, rund 1900 Kassetten digitalisiert. Sie gewähren nun Einblicke in die Wohnungen der Wiener, zeigen, wie sich das Stadtbild, die Mode und die Technik wandelten. Alles, bei dem – meist – der Vater die Familie mit der Kamera begleitete, findet sich: Kindergeburtstage, Weihnachtsszenen, im Garten spielende Hunde.

„Hoppala“-Show vermeiden

So entstand ein von persönlichen Ereignissen gefärbter Längsschnitt über zwei Jahrzehnte. Den Forschern war dabei wichtig, „keine ,Hoppala‘-Show des Privaten zu liefern, sondern ein gutes Bild der 1980er- und 1990er-Jahre“. Damals wurden die relativ günstigen Videokameras zum Massenphänomen. Während man zuvor mit Schmalfilmkameras nur wenige Minuten aufnehmen konnte, bot das damals neue Videoformat die Möglichkeit einer umfassenden Dokumentation. „Man konnte auf einer Hochzeit nicht nur die Zeremonie, sondern auch rundherum viel mehr zeigen, etwa das Buffet oder die Gratulanten“, sagt Fröschl. Außerdem gaben die Aufnahmen nun auch Stimmen und Geräusche wieder.

Ausführlich dokumentiert finden sich auch die Aktivitäten der Gruppe Alternativvideo rund um den Gewerkschafter Heinz Granzer. Sie filmten auch Polizeieinsätze, etwa die Räumung eines Jugendzentrums in der Wiener Gassergasse, und was der öffentliche Rundfunk in ihren Augen „nicht zufällig zu zeigen versäumte“. Das Geschichtsbild lasse sich so zumindest ergänzen, meint Fröschl.

Der Schatz privater Videoaufnahmen soll nun neben Historikern etwa auch Soziologen für Forschungen zur Verfügung stehen, sagt WWTF-Geschäftsführer Michael Stampfer. Aber auch Interessierte können 500 Videoclips ab sofort auf der Webplattform Wiener Video Rekorder abrufen. Darunter auch Bilder von Bauten, die es heute so nicht mehr gibt: etwa des Südbahnhofs oder des Amphitheaters im syrischen Palmyra.

Mehr: www.wienervideorekorder.at

IN ZAHLEN

3000 Videokassetten sichteten an der Österreichischen Mediathek beschäftigte Historiker. Sie zeigen Alltagsszenen aus dem Leben der Wiener ab den 1980er-Jahren, aber auch Reisen.

3900 Stunden Videomaterial wurden schließlich inhaltlich aufgearbeitet und in einer Datenbank erfasst. Damit steht das Quellenmaterial ab sofort für weitere Forschungen, etwa auch von Soziologen, zur Verfügung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2017)

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