Wort der Woche

Granate

Eine spannende Ausstellung über Granate ruft in Erinnerung, dass Innovationen häufig erst durch das Überschreiten von Grenzen zwischen Disziplinen möglich werden.

Diese Woche wurde am Hamburger Forschungszentrum Desy ein Laser der Superlative in Testbetrieb genommen: XFEL ist der weltweit stärkste Röntgenlaser, er ist 3,4 Kilometer lang und produziert ultrakurze und extrem helle Lichtblitze, mit deren Hilfe, so Desy-Chef Helmut Dosch, „in Europa eine neue Ära der Forschung“ beginne.

Szenenwechsel: In der Vorwoche wurde im wunderbaren Krahuletz-Museum in Eggenburg eine bemerkenswerte Ausstellung über Granate, die „Edelsteine des kleinen Mannes“, eröffnet.

Was diese beiden Meldungen miteinander zu tun haben? Mehr, als man auf den ersten Blick glaubt. Granate sind faszinierende Mineralien, die in vielen Ausformungen auftreten können – von sattroten bis hin zu gelben oder gar grünen Varianten. Ihren Namen erhielten Granate übrigens im Mittelalter wegen ihrer Ähnlichkeit von Form und Farbe mit den Kernen des Granatapfels. Die Vielfalt ist eine Folge des komplizierten Aufbaus aus mehreren chemischen Elementen, die charakteristische Kristalle („Inselsilikate“) bilden.

Für Geologen sind Granate sehr interessant, weil sich aus ihnen lesen lässt, wann bestimmte Gesteine entstanden sind bzw. wie sie sich verändert haben. Denn die chemische Zusammensetzung der Granate ist in gewissen Grenzen variabel, sie kann sich etwa aufgrund des umgebenden Gesteins verändern, indem fremde Ionen aufgenommen und in das Kristallgitter integriert werden. Mit der Zeit hat man zudem erkannt, dass man Elemente mit interessanten Eigenschaften, etwa Neodym, Erbium oder Ytterbium, in Granate hineinschmuggeln kann.

Das war mineralogische und materialwissenschaftliche Grundlagenforschung – bis sich ab den 1950er-Jahren eine ungeahnte Anwendung dafür auftat: Dotierte Granate wurden zu einem wichtigen Baustein von Lasern. Damals, so erzählte einer der Laser-Erfinder, Charles Townes, einmal im „Presse“-Interview, habe niemand erwartet, wie bedeutsam diese Erfindung werden würde. Heute sind viele verschiedene Lasertechnologien bekannt, zahlreiche Anwendungen sind ohne Laser undenkbar: von DVD-Playern über die Raumfahrt bis hin zu hochpräzisen Analysemethoden wie eben dem Röntgenlaser XFEL – der wiederum der Materialforschung zugutekommt.

Dieses Beispiel zeigt, wie sich auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Forschungsgebiete befruchten können – und dass Fortschritte häufig erst an den Grenzen zwischen Disziplinen passieren.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)

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