Viskose oder doch Partikel aus Labormänteln?

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Wissenschaftler orteten Kunststoffpartikel in der Tiefsee. Wiener Chemiker stellen aber fest, dass dieser Befund bei Anwendung weiterer Messmethoden nicht aufrechterhalten werden kann.

Der aus Cellulose gewonnene Kunststoff Viskose in großen Tiefen auf dem Meeresgrund? Eine derartige neuere Studie britischer Ökologen – und auch ähnliche ältere Untersuchungen –, mit der das Vorhandensein von Mikroplastik belegt werden sollte, stieß im Institut für Chemische Technologien und Analytik der TU Wien auf Skepsis. 57 Prozent der analysierten Kunststoffpartikel sollen nach den Angaben britischer Forscher aus Viskosefasern bestehen.

Viskose in der Tiefsee sei unwahrscheinlich, da diese holzbasierte Zellulosefasern im Gegensatz zu synthetischem Plastik auf natürliche biologische Weise abgebaut werden. Ein Team um den Chemiker Bernhard Lendl hat nun seinerseits Untersuchungen vorgenommen, und dabei kamen die Wiener Wissenschaftler zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die in der britischen Studie ausgewiesene Meeresmikroplastik stammt höchstwahrscheinlich von den Labormänteln der bei der Analyse anwesenden Wissenschaftler. Damit wurde eine „naheliegende Vermutung“ bestätigt

Verunreinigungen sind in Labors kaum auszuschließen. Deswegen werden heikle Untersuchungen wie etwa Wasserproben in speziellen Reinräumen mit einem besonderen Filtersystem für die Luft durchgeführt. Zudem ist in diesen Labors eine Kleidung aus Kunstfasern verboten – weil sich dann eben winzige Kunststoffpartikel fast überall finden.

Messungen im Mikrobereich

Allerdings kann auch die Ersatzkleidung aus Baumwolle problematisch sein. Denn bei der von den Briten eingesetzten Infrarotspektroskopie lassen sich Fasern aus Viskose und Baumwolle nicht unterscheiden. „Wenn man in Wasserproben nach Kunststoffen sucht, dann besteht immer die Gefahr, dass die nachgewiesenen Substanzen gar nicht aus der Probe selbst stammen, sondern aus der Laborumgebung“, sagt Bernhard Lendl. Denn manche Messtechniken können nicht zwischen künstlichen und natürlichen Mikropartikeln unterscheiden. Und so kann beim Untersuchungsergebnis eine Kontamination durch Naturfasern der Labormäntel – im Ausmaß von etwa zehn Mikrometern – mit im Spiel sein.

Bei der Infrarotspektroskopie wird die zu untersuchende Probe mit Infrarotstrahlung beleuchtet, und ein Teil der Strahlung wird absorbiert. Dabei absorbieren verschiedene chemische Substanzen unterschiedliche Bereiche des Infrarotspektrums in unterschiedlichem Ausmaß. Wobei die Wiener Chemiker bei der Untersuchung mehrere Infrarotspektroskopiemethoden und Messparameter angewandt haben. Jetzt erst kann man einzelne Chemikalien richtig zuordnen.

Die Studie der TU-Wissenschaftler ist im Fachjournal „Applied Spectroscopy“ veröffentlicht worden. Hier erweisen sich die TU-Chemiker mit ihren eigenen Messparametern als die fachkundigen Experten. Lendl weist aber darauf hin, dass die britischen Ökologen auf ihrem eigentlichen Gebiet unbestrittene Koryphäen sind. Und dass die Meere mit zu viel Plastikmüll verunreinigt sind, wird nicht in Abrede gestellt. Aber eben nicht mit Viskose in großen Meerestiefen.

Wie übrigens der Wiener TU-Professor feststellt, habe es ähnliche Verfälschungen schon bei Bier- und Honigproben gegeben. Auch dort seien Mikroplastikspuren nachgewiesen worden. Allerdings haben spätere Analysen ergeben, dass die vorangegangenen Ergebnisse auf unsaubere Laborbedingungen zurückzuführen sind.

LEXIKON

TU-Wien-Forschung.Univ.-Prof. Bernhard Lendl, Leiter der Arbeitsgruppe Environmental And Process Analytics, richtet den Fokus der Forschung auf neue analytische Techniken der molekularen Spektroskopie. Die Forschungen werden vom Wissenschaftsfonds FWF und vom Forschungsfonds FFF unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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