Krähen: Soziale Kooperation

(c) EPA (Narendra Shrestha)
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Dass Krähen sich nicht gegenseitig die Augen auskratzen, sondern vielmehr eng miteinander kooperieren, wissen Forscher seit Langem. Nun wird in Oberösterreich getestet, wie diese sozialen und cleveren Tiere auf ungerechte Behandlung im Team reagieren.

Lang ist er noch nicht her, der Weihnachtsabend. Für Verhaltensforscher birgt dieser besondere Tag in der Familie mitunter einen Anlass, um Beobachtungen anzustellen. Etwa, wie sich die Kinder verhalten, wenn sie sich nach der Geschenkverteilung ungleich behandelt fühlen. „Wie verschiedene Individuen auf ungleiche Behandlung reagieren, wurde am Menschen tausendfach erforscht“, berichtet Claudia Wascher von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau im Almtal (OÖ).

Die „Spieltheorie“ ist eine eigene Forschungsrichtung, in der Fairness und Kooperationsbereitschaft von Leuten getestet wird, die zuvor unterschiedliche Erfahrungen miteinander gemacht haben. „Auch an Primaten und kürzlich sogar an Hunden wurden ähnliche Tests bereits durchgeführt“, sagt Wascher. Denn schließlich will man ursprünglichere Versionen des kooperativen Verhaltens an Tieren untersuchen, um etwa die Entstehung der menschlichen Kooperationen besser zu verstehen. „Die Tiere reagieren stark ablehnend, wenn sie im Vergleich zu einem anderen Individuum ungleich oder unfair behandelt werden.“

Die Forschungsstelle in Grünau ist berühmt für diverse Verhaltensbeobachtungen an Vögeln: Von den Graugänsen über Waldrappe bis hin zu Raben und Krähen. Da ist es fast verwunderlich, dass noch niemand dieses Grundschema von sozialen Tieren (die Reaktion auf ungleiche Behandlung) an einem dieser Vögel getestet hat. Umso wichtiger ist das Forschungsvorhaben, das Wascher nun mit Hilfe des „For Women in Science“-Stipendiums angeht, das von L'Oréal, ÖAW und dem Wissenschaftsministerium (BMWF) finanziert wird.


Vögel mit großem Gehirn. In diesem Projektjahr will Wascher an den „Brainy Birds“ (Rabenvögel haben neben den Papageienvögeln das größte Gehirn) testen, wie die Vögel reagieren, wenn einer besser belohnt wird als ein anderer. Die Studienobjekte kennt Wascher fast alle seit ihrer Geburt, gemeinsam mit Anna Braun hat sie fünf der acht Rabenkrähen handaufgezogen. Eine Krähe, Franz, kam als junges Tier nach Grünau: Er wurde angefahren, und bis heute ist sein Flügel nicht ganz geheilt. „Obwohl die von uns geplanten Tests viel Vertrauen in den Menschen voraussetzen, macht der ,wilde‘ Vogel ganz begeistert mit“, berichtet Wascher. Freilich, es gibt ja auch was zu Essen.

In den Versuchen müssen die Rabenkrähen nämlich ein Stückchen normales Futter (Brot) gegen ein besseres Futter (Traube) oder gegen ein besonderes Leckerli (Wurst oder Käse) tauschen. „Meines Wissens sind wir die Ersten, die Vögel je auf solche ,Exchange‘-Experimente trainiert haben“, ist Wascher stolz. Bei Primaten ist das State of the Art. Doch ein Affe nimmt das Essensstückerl in seine Hand und kann dann überlegen, ob er es gegen etwas Besseres tauschen will. „Die Vögel haben das Futterstück ja gleich im Schnabel“, so Wascher. Und haben Sie schon mal versucht, einem Tier wieder etwas aus dem Schnabel oder Maul zu nehmen? Zum Glück sind die Versuchstiere in der Grünau echt „brainy“ und begreifen nach kurzem Training, dass sie das Stück Brot nicht auf- oder anfressen dürfen: Sonst kommt nix Besseres nach!

„Ich finde die ,Exchange‘-Methode einen sehr positiv besetzten Test: Denn das Tier bekommt auf jeden Fall ein Stück Futter als Belohnung, sei es Brot oder Käse. Bei anderen Versuchen über kooperatives Verhalten haben die Tiere die Wahl zwischen zwei Dingen, und wenn sie sich falsch entscheiden, kriegen sie gar nichts.“ Wieso führt man solche Versuche gerade an Krähen durch? Die Rabenvögel, zu denen die Krähen gehören, legen besonders viel kooperatives Verhalten an den Tag: Sie schließen sich entweder bei der Futtersuche zusammen oder bilden „Allianzen“, wenn sich zwei Tiere, die in der sozialen Hierarchie weiter unten sind, verbünden, um an ein Futter zu kommen, das ein sozial höherstehendes Tier für sich beansprucht. Auch das „kooperative Brüten“ ist bei Rabenvögeln üblich, denn gemeinsam verteidigt man die Kinderstube leichter als allein.


Kooperation und Freundschaft. „Mich hat von Anfang an interessiert, warum Tiere überhaupt kooperativ sind“, sagt Wascher. Wieso investieren sie in Kooperationen, ohne zu wissen, wie ihre Investition belohnt wird? Und welche kognitiven Fähigkeiten müssen dahinterstecken, dass Tiere ihre eigene Belohnung für einen Arbeitsschritt (das Austauschen) mit der Belohnung eines zweiten Tieres für die gleiche Leistung vergleichen? Wie die Krähen das hinbekommen wird sich in den anstehenden Experimenten zeigen: Dabei werden immer zwei Tiere gemeinsam getestet und sollten acht Tauschvorgänge erledigen. Im Kontrollversuch bekommen beide zuerst ein Brot und im Tausch ein Leckerli. Im eigentlichen Test erhält dann das Testtier im Tausch gegen das Brot nur eine Traube, während das zweite Tier ein Leckerli bekommt. „Wir schätzen, dass in diesem Fall die benachteiligten Tiere schnell aufhören, beim Tauschspiel mitzumachen. Auch die Zeit, die es jeweils dauert, bis sich das Tier zum Tauschen entschließt, wird gemessen.“

Nach dem Basisprogramm untersucht Wascher auch den Einfluss der sozialen Beziehungen zwischen den Tieren. Manche der acht Rabenkrähen sind befreundet: Sie verbringen in der weitläufigen Voliere viel Zeit miteinander, sitzen nahe beieinander, spielen viel, aber raufen sehr selten. Andere mögen sich nicht so sehr, die raufen öfters wegen Kleinigkeiten und werden selten miteinander gesehen. „Wir sind gespannt, ob die Vögel es eher akzeptieren, dass ein ,guter Freund‘ besser behandelt wird, als dass ein nicht befreundeter Vogel ständig ein besseres Stückerl Futter bekommt.“


Die berühmten Graugänse. In der seit Konrad Lorenz dokumentierten Graugansschar, mit der Wascher schon während ihrer Dissertation gearbeitet hat, könnte man diese Versuche nicht durchführen. „Außer den monogamen Pärchen bilden Gänse keine Freundschaften und Allianzen. Das kooperative Verhalten ist bei ihnen nicht so ausgeprägt, und außerdem sind die nicht auf die besondere Situation des Austauschens trainiert.“ Darum freut sich Wascher, dass die geplanten Versuche mit den Rabenkrähen bald losgehen. Nur über solche Grundlagenforschung kann man herausfinden, warum sich ein Individuum an Kooperationen beteiligt, ohne zu wissen, was für es selbst dabei herausschaut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2010)

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