Von Hausmitteln zur Wissenschaft

Nadine Kretschmer untersucht, wie ein von ihr isolierter Wirkstoff aus asiatischen Lotwurzen Krebszellen in den kontrollierten Zelltod treibt.
Nadine Kretschmer untersucht, wie ein von ihr isolierter Wirkstoff aus asiatischen Lotwurzen Krebszellen in den kontrollierten Zelltod treibt. (c) Helmut Lunghammer (HELMUT LUNGHAMMER)
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Die Biologin Nadine Kretschmer erforscht einen Pflanzenstoff, der das Wachstum von Krebszellen hemmt. Die Basis dafür stammt aus der Traditionellen Chinesischen Medizin.

Ich finde es ungeheuer spannend, wie eine Pflanze rein aus sich selbst heraus funktioniert“, sagt Nadine Kretschmer. „Wie sie zum Beispiel weiß, wann es Zeit ist zu keimen, Wurzeln zu bilden, zu blühen oder Blätter abzuwerfen.“ Die Liebe zum Pflanzenreich wurde der Biologin gewissermaßen in die Wiege gelegt. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Bayern, gehört das Zubereiten von Hausmitteln aus dem Kräutergarten zu ihren grundlegenden Kindheitserfahrungen. Bei Husten pflückte die Oma einfach etwas von der Königskerze und kochte Tee daraus. Ihre Mutter machte wohltuende Ölauszüge aus Johanniskraut.

Auch heute gartelt die junge Wissenschaftlerin noch leidenschaftlich gern und stellt ihre Seifen und Kosmetika selbst her. Beruflich beschäftigt sie sich mittlerweile aber auf einer weit tieferen Ebene mit Naturstoffen. Am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Uni Graz stellt sie ihre Botanikkenntnisse in den Dienst der Krebsforschung. Hierher hat sie nach dem Biologiestudium in München die Suche nach einem Dissertationsthema geführt.

„Der Aspekt des Heilens hat mich schon früh interessiert“, erzählt Kretschmer. „Krebsfälle in meiner Familie haben das vermutlich noch verstärkt.“ Und mit dem Pharmazeuten Rudolf Bauer hat die Uni Graz einen Spezialisten für die Erforschung von Heilpflanzen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Dass er vor zehn Jahren ihr Doktorvater wurde, sei ein Glücksfall gewesen, sagt die 35-Jährige.

Im Labor wirkt es gegen Melanomzellen

Damit nahm ihre Forschung an der Lotwurz namens Onosma paniculata ihren Ausgang. Aus diesem Gewächs hat sie in ihrer Doktorarbeit den Wirkstoff Dimethylacrylshikonin (DMAS) isoliert. Dessen krebshemmende Wirkung an Zellkulturen scheint vielversprechend. Seitdem forscht die Universitätsassistentin daran, aktuell in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt. Dabei wird sie sich auch habilitieren.

Die Onosma paniculata ist eine von über 500 Pflanzen, die in der TCM von alters her gegen Geschwüre aller Art eingesetzt wurden. „Heute weiß man, dass damit auch Krebsgeschehen gemeint waren“, so Kretschmer. Vor 15 Jahren hatte ein Doktorand an ihrem Institut den Grundstock in China gesammelt. Er legte eine Datenbank an, um zu untersuchen, ob die zugeschriebenen Wirkungen wissenschaftlich belegt werden können. 75 Kandidaten kristallisierten sich als interessant heraus. Als Kretschmer zur Forschungsgruppe stieß, standen noch elf als mögliche Krebshemmer zur Diskussion. Sie arbeitete sich bis zur Onosma paniculata vor und stellte fest, dass DMAS bei Krebszellen Apoptose auslöst: „Dabei verdaut sich die Krebszelle selbst und wird vom Immunsystem zersetzt. Auf Deutsch nennt man das kontrollierten Zelltod.“ Bei Melanomzellen zeigte sich die stärkste Aktivität.

„Es ist Grundlagenforschung“, betont Kretschmer. „Wenn man daraus ein Medikament entwickeln könnte, wäre das natürlich super.“ Doch das sei ein langwieriger Prozess. „Wir müssen zunächst klären, wie dieser Wirkmechanismus genau abläuft und welche Unterschiede es zwischen dem Melanom und anderen Krebsformen gibt.“

Tierversuche vermeiden

Und man müsse schauen, was DMAS im lebenden Organismus macht. „Einen günstigen Effekt auf Krebs zu verfolgen hat ja nur Sinn, wenn man sicherstellen kann, dass die Substanz keine anderen Organe schädigt.“ Um Tierversuche zu minimieren, mache man derzeit Tests an künstlichem Gewebe, das das Fraunhofer-Institut in Würzburg aus Hautzellen herstellt. Außerdem versuche man durch das Modifizieren von DMAS, die Wirkstoffmengen zu optimieren. Die Dosierung sei bei einem potenziellen Krebsmittel wesentlich, denn hier sei der Grat zwischen giftig und verträglich oft schmal. „Darum ist es auch keine Option, einfach die Pflanze zu ernten und zu verwenden.“ Es brauche Reinsubstanzen, und diese müssen gut erforscht sein.

Dieser Aufgabe widmet sich Kretschmer mit großer Faszination für die Power der Pflanzen. Sie ist hier heimisch geworden, hat einen Steirer geheiratet: Sie haben einen prächtigen Garten in Waldnähe.

ZUR PERSON

Nadine Kretschmer, geboren 1982 in Bayern, studierte Biologie an der TU München und dissertierte 2011 an der Uni Graz. Dort erforscht sie seitdem krebshemmende Pflanzenstoffe und deren Wirkmechanismus. Aktuell arbeitet sie an ihrer Habilitation und untersucht in einem Projekt der Uni Graz und Med-Uni Graz, gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF, die Wirkung von Diethylacrylshikonin (DMAS) auf Melanomzellen.

Alle Beiträge unter:diepresse.com/jungeforschung

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2017)

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