Historische Spuren der Musiktherapie in Wien

Hat Musik etwas Heilendes?
Hat Musik etwas Heilendes?(c) imago/Photocase (Andreas Berheide)
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Um 1800 begannen Ärzte, Musik als Behandlungsmethode in psychiatrischen Anstalten einzusetzen. Um die „Gemüthsruhe“ der Patienten wiederherzustellen, ließ man sie auch selbst musizieren.

Die Projektleiterin, Andrea Korenjak, hat Musikwissenschaft, Psychologie und Querflöte studiert. „Ich war seit meiner Jugend an der Frage interessiert, ob es etwas Heilendes in den Künsten gibt. Später habe ich die Geschichte der Musik als Heilkunst zu einem meiner wissenschaftlichen Forschungsfelder erwählt“, erzählt sie. Im Projekt „Musik, Medizin und Psychiatrie in Wien (1780–1850)“, angesiedelt an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, am Institut für kunst- und musikhistorische Forschungen und gefördert vom Wissenschaftsfonds (FWF), beschäftigt sie sich nun konkret mit der Wiener Geschichte der Musiktherapie in den ersten Anstalten für psychisch Kranke.

Der Musik wurde in nahezu jeder Epoche in unterschiedlicher Weise die Fähigkeit zugesprochen, körperliche, seelische und geistige Störungen lindern oder heilen zu können. Um 1800 erweitert sich der Diskurs jedoch um eine neue Perspektive: Durch die Gründung der ersten psychiatrischen Anstalten konnte die Musik erstmals ganz konkret an einer größeren Gruppe von Patienten erprobt werden. Die viel besungene Wirkung der Tonkunst, von der sich Ärzte viel erhofften, wurde in den klinischen Kontext vieler psychiatrischer Einrichtungen in Zentraleuropa integriert.

Lateinische Dissertationen

„Die Quellenlage in Wien ist nicht ausgesprochen dicht, da manche Psychiater auffallend wenig über ihre Erfahrungen mit der Musik publiziert haben. In meinem Projekt ziehe ich unter anderem erste Wiener medizinische Dissertationen zum Thema Musik und Medizin heran. Gemeinsam mit meinem Projektmitarbeiter Hubert Reitterer habe ich lateinische Dissertationen ausgewertet, die bislang noch nicht wissenschaftlich berücksichtigt wurden“, berichtet Korenjak.

Der Erste, der in Wien Musik als Therapie eingesetzt hat, war Bruno Goergen (1777–1842), der eine eigene Privatheilanstalt für „Gemüthskranke“ gegründet hatte. Ihm ging es hauptsächlich darum, bei seinen Patienten die „Gemüthsruhe“ wiederherzustellen. Für ihn war Musik vor allem eine Beschäftigung, die die Kranken von krankhaften Ideen ablenken und sie zerstreuen sollte. „Interessant ist, dass er dabei bereits auf aktives Musizieren setzte. Um die musikalischen Fähigkeiten zu fördern, wurden nicht nur Instrumente zur Verfügung gestellt, sondern auch Musiklehrer angestellt. Goergen hat Patienten dazu animiert, gemeinsam zu musizieren, und organisierte auch Anstaltskonzerte, zu denen Gäste geladen waren“, so Korenjak.

Ob die Musiktherapie ein Erfolg oder Misserfolg war, dazu gab es aber damals in der Ärzteschaft kontroverse Meinungen. Die Berichte reichen von der überzeugten Anwendung bis zur enttäuschten Ablehnung. Natürlich gab es damals auch theoretische Überlegungen zum Einsatz von Musik als Therapie, etwa Konzepte und Reflexionen über den Einfluss der Musik auf Körper und Seele, oder medizinische Überlegungen, wie die Musik auf das Nervensystem wirkt. Andererseits setzt um 1800 der praktische Diskurs ein. Es gibt ganz konkrete Erfahrungsberichte aus der klinischen Praxis. „Interessant ist, dass die klinische Praxis theoretische Annahmen nicht immer bestätigt hat. Die Idee einer universellen Wirkung der Musik musste aufgegeben werden. Dies führte auch zu neuen Überlegungen über die Individualität der Patienten“, erläutert Korenjak.

Oft einfach Beschäftigung

Der große Gegensatz zur heutigen Musiktherapie liegt darin, dass es im 19. Jahrhundert nicht darum ging, dass sich Patienten über die Musikimprovisation selbst ausdrückten oder gemeinsam mit den Therapeuten einen nonverbalen Dialog herstellten. „Die Musik galt im Wiener Kontext des 19. Jahrhunderts in erster Linie als Beschäftigung und Unterhaltung und sollte letztlich auch zur Rekreation der Patienten führen“, sagt die Projektleiterin. (ll)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2018)

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