Was macht uns just im Schlaf so kreativ?

Im Schlaf wird Wichtiges verfestigt.
Im Schlaf wird Wichtiges verfestigt.(c) Bilderbox
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Ein neues Modell sieht den Schlüssel im Zusammenspiel von REM- und Non-REM-Schlaf.

Die Wissenschaft hat dem Schlaf viel zu danken: Dem Chemiker Kekulè erschien im Traum die Ringstruktur des Benzol, seinem Kollegen Mendelejeff die Periodentafel der Elemente. Auch Otto Loewi, deutscher Pharmakologe an der Uni Graz, hatte einen Schlüsseltraum, 1921 sah er darin, mit welchem Experiment er seine Vermutung bestätigen könnte, dass Nervenzellen mit Botenstoffen kommunizieren, Neurotransmittern.

Er schrieb es nieder, am nächsten Morgen konnte er es nicht entziffern. So hoffte er auf die nächste Nacht: „Um drei Uhr früh kam die Idee wieder“, erinnerte er sich später, nun ging er ins Labor und führte das Experiment durch. Es gelang und trug ihm 1936 den Nobelpreis ein (1938 durfte er, ein Jude, nur unter Zurücklassung des Preisgeldes aus Österreich emigrieren).

Abwechslung der Schlafphasen

Sind das nur milde Erinnerungen an den einen Schlag, mit dem lange Denkmühen ihre Lösung fanden? Heute ist klar, dass im Schlaf der Tag noch einmal durchgegangen wird, Wichtiges wird verfestigt, anderes entsorgt, anderes neu kombiniert, insofern ist man im Schlaf kreativ, das hat sich oft in Experimenten bestätigt, etwa in einem, in dem die Probanden Aufgaben zu lösen hatten, in denen ein Abkürzungsweg verborgen war. Eine Gruppe bekam die Aufgaben morgens und sollte sie am Abend lösen; die andere bekam sie am Abend und überschlief sie: 59 Prozent davon fanden die Abkürzung, bei den anderen nur 23 (Nature 427, S. 352).

Solche Befunde sind unstrittig, die Frage ist nur, in welchem Schlaf Probleme gelöst werden: Wir haben zwei Typen, im einen rollen die Augen wild – rapid eye movement, REM –, im anderen sind wir äußerlich ruhig, Non-REM. In welchem kommt Kreativität? In einem Zusammenspiel beider, schlägt die Psychologin Penelope Lewis (Cardiff) vor, die die Literatur sichtete (und dann wohl darüber schlief): Die Typen wechseln einander ab, etwa im 90-Minuten-Takt, es beginnt mit Non-REM. In dem sind zwei Hirnregionen in enger Kommunikation, der Hippocampus und der Neokortex. In Ersterem lagern Erinnerungen etwa an Ereignisse, in Letzterem Erinnerungen etwa an Ideen und Konzepte.

In dieser Phase überspielt laut Lewis der Hippocampus seine Erinnerungen an den Neokortex, der ordnet sie in Konzepte. Dann kommt REM, die Regionen werden entkoppelt – durch den Neurotransmitter, den Loewi entdeckte: Acetylcholin –, dafür erhöht sich die Kommunikation im Neokortex, das Geordnete wird mit anderen Konzepten verbunden (Trends in Cognitive Science 15. 5.). „Eine Analogie wären zwei Forscher, die erst gemeinsam an einem Problem arbeiten, es dann getrennt durchdenken und dann wieder zusammen kommen“, erklärt Lewis.

Das klingt plausibel, ist allerdings eher spekulativ und hat Schwächen: Es gibt Menschen, die keinen REM-Schlaf haben, etwa einen Israeli, der REM durch einen Unfall verlor. Seine Kreativität litt nicht, er ist erfolgreicher Anwalt und denkt sich in der Freizeit Rätsel für eine Zeitung aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2018)

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