Sportwissenschaft: Die Brust schwingt mit

(c) REUTERS (Max Rossi)
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Sport-BHs sollten gut sitzen. Weil die Beweglichkeit der Brust bis heute nicht berücksichtigt wurde, haben Wiener Forscherinnen ein neues Simulationsmodell entwickelt.

Ob ein Sprint zur Bushaltestelle oder ein Zehn-Kilometer-Lauf: Wird die weibliche Brust schlecht gestützt, schmerzt das Laufen. Schon im antiken Rom trugen daher viele Athletinnen die als Strophium bezeichnete Brustbinde. In den 1970ern hat dann die US-Amerikanerin Lisa Lindhal mit dem „Jogbra“ den ersten Sport-BH kreiert. Ein gut sitzender Sport-BH reduziert die Belastung nachweislich auf rund ein Viertel. Was überrascht: Die Beweglichkeit der weiblichen Brust blieb bis dato unberücksichtigt.

„Heutige Software zur Entwicklung von Sport-BHs basiert auf einem starren Brustmodell. Für die weibliche Brust ist das jedoch unpassend“, erklärt Michaela Haßmann vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien. Zusammen mit der Nachwuchsforscherin Seraphina Stöger und in Kooperation mit dem unternehmen CAE Simulation & Solutions Maschinenbau Ingenieurdienstleistungen GmbH entwickelte die Mechatronikerin nun ein realistisches Simulationsmodell. Das von ihr geleitete Forschungsprojekt „Sport-BH-Optimierung durch Finite Elemente-Simulation der Interaktion mit weiblichem Brustgewebe“ wurde von der Wirtschaftsagentur Wien gefördert und berücksichtigt erstmals die Beweglichkeit sowie die Eigenschaften des Brustgewebes.

Schmerzfrei laufen

Vor allem die vertikale Bewegung verursacht Schmerzen. Für viele Frauen ist das ein Grund, keinen Sport zu treiben. Je stärker sich die Brust auf- und abbewegt, desto größer ist – technisch gesehen – die Bewegungsamplitude. In Zahlen auszudrücken, wann sie zu groß ist, ist jedoch nicht sinnvoll. „Die Frau soll beim Gehen und Laufen keine Schmerzen empfinden. Treten welche auf, bedeutet dies, dass die Bewegungsamplitude zu groß ist“, erklärt Stöger.

Die Forscherinnen haben im Rahmen des Forschungsprojekts mehrere Tests mit insgesamt 59 Frauen zwischen 19 und 67 Jahren durchgeführt. Die Videoaufnahmen der Laufbandtests zeigten, dass es neben Schmerz noch ein weiteres Anzeichen gibt: Ist die Brust schlecht gestützt, ändert sich die Hand- bzw. Armhaltung, um dieses Defizit auszugleichen.

Wie groß oder klein die Bewegungsamplitude ist, hängt neben der Laufgeschwindigkeit und dem -stil auch vom Brustvolumen ab. Deshalb achteten die Forscherinnen darauf, bei den Testpersonen eine große Bandbreite an BH-Größen – von 75B bis 95G – vertreten zu haben. Bei sehr großer Brust, einem schnellen Sprint und starker Oberkörperdrehung ist die Bewegungsamplitude am größten.

Daraus zu schließen, dass kleine Brüste keine Stütze benötigen, ist jedoch falsch. Denn die Brust hat eine sogenannte Eigenfrequenz. Diese war bis dato bloß nie berechnet worden. „Für die Simulation ist es nötig, die Materialeigenschaften von Brust und BH zu kennen. Deshalb haben wir uns dem Brustgewebe aus technischer Perspektive genähert“, sagt Haßmann.

Mittels 3-D-Oberflächenscans im Stehen und Liegen hat das Team die Elastizitätseigenschaften ermittelt. Anhand eines anderen Tests, des sogenannten Ausschwingversuchs, wurden die Dämpfungseigenschaften sowie die Eigenfrequenz bestimmt: Die Frauen sollten ihre Brüste hochheben und dann fallen lassen. Eine Hochgeschwindigkeitskamera zeichnete die Bewegung auf, woraus u. a. die Eigenfrequenz berechnet wurde. Die Dämpfungseigenschaften von kleinen und großen Brüsten sind zudem ähnlich, weshalb beide gerade beim Laufen gestützt werden sollten.

Anprobe am virtuellen Torso

Der Firmenpartner entwickelte aus den Daten mehrere Finite Elemente-Volumenmodelle samt Sport-BH. „Momentan ist die Validierung des Simulationsmodells durch den Vergleich mit den Laufbandtests ausständig“, ergänzt Stöger. Ziel ist, dem virtuellen Torso verschiedene Sport-BHs „anziehen“ zu können, um deren Stützwirkung zu optimieren.

Rund 40 Jahre nach der Erfindung des Sport-BHs ist dies der erste Ansatz, der sich an der natürlichen Form, Beschaffenheit und Beweglichkeit orientiert und individuelle Unterschiede mitberücksichtigt. Bis der Sport-BH genauso gut anpassbar ist wie der Laufschuh, wird es aber noch dauern.

Lexikon

Eigenfrequenz. Die im Forschungsprojekt erstmals berechnete Eigenfrequenz der weiblichen Brust liegt zwischen zwei und sieben Hertz. Im Gegensatz zum Springen, bei dem die Brust auch wieder zur Ruhe kommt, wird sie beim Laufen ständig in Schwingung versetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2018)

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