Spüren schon Bonobos Ekel?

Bonobo apes primates unique to Congo and humankind's closest relative groom one another at a sanctuary just outside the capital Kinshasa
Bonobo apes primates unique to Congo and humankind's closest relative groom one another at a sanctuary just outside the capital KinshasaREUTERS
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Auch unsere Cousins wenden sich ab von Futter, das mit Fäkalien und Erde kontaminiert ist. Ob ihnen dabei auch so graust, konnte das Experiment nicht klären.

Nichts ist für Lebewesen so riskant wie das, was sie am nötigsten brauchen: Nahrung. Die kann voller Gifte und/oder Krankheitserreger sein, zur Risikominimierung gibt es mehrere Strategien: Zunächst kann man sich an Bewährtes halten und Ungewohntes verschmähen, diese Neophobie haben etwa Ratten ganz extrem, aber auch unter Menschen ist bekannt, das „der Bauer nicht isst, was er nicht kennt“. Das war immer schon etwas pejorativ eingefärbt und ist aus der Mode geraten, seit eine exotische Frucht nach der nächsten die Neugier lockt, bei diesen Früchten verlässt man sich darauf, dass sie so hergerichtet sind, dass sie keine Gefahr bringen.

Das Herrichten ist die zweite Strategie: Nahrung wird prozessiert, im einfachsten Fall gewaschen, so halten es etwa Makaken, und Menschen tun es auch, sie haben wache Augen, Bananenbündel etwa werden vor dem Versand inspiziert. Und wenn im Empfängerland in irgendeinem Supermarkt doch eine Spinne herauskriecht, stellen sich nicht nur Schlagzeilen ein, sondern auch Emotionen: Furcht und Ekel.

Erstere ist unter Lebewesen weitverbreitet, bei Letzterem hingegen ist nicht klar, ob es ihn außer bei uns irgendwo gibt, den reflexhaften Abscheu, bei dem das Gesicht einen typischen Ausdruck annimmt – gerümpfte Nase, hochgeschobene Oberlippe – und das Gehirn leicht in Panik gerät. Das kann kulturell überbaut sein – manchen Menschen läuft beim Anblick gerösteter Insekten das Wasser im Mund zusammen, anderen dreht schon der Duft eines Schweinsbratens den Magen um –, gilt aber generell, vor allem, wenn es um Fäkalien geht und um Körperflüssigkeiten, Blut und Eiter (bei Spucke spielen wieder die Kulturen mit, in manchen wird ganz selbstverständlich auf den Boden gespuckt).

Keine Scheu vor Neuem

Da hält man nach Möglichkeit Abstand, räumlich und emotional. Tun andere das auch? Cecile Sarabian (Kyoto) hat es getestet, an Cousins, Bonobos im Kongo (Phil. Trans. Roy. Soc. B. 4. 6.). Bonobos sind generell neugierig, auch bei Futter kennen sie keinerlei Neophobie, im Experiment griffen sie gern nach etwas, was sie nicht kannten: Apfelscheiben. Waren die aber verschmutzt, mit Erde oder Kot oder trugen sie auch nur Duftstoffe davon, wandten sich die meisten Bonobos ab (manche versuchten es mit Reinigen, aber Bonobos können das nicht gut, sie haben keine so feingliedrigen Finger wie Makaken oder Menschen).

Sie wandten sich also ab, aber taten sie es auch mit Grausen, wie wir es tun? Das konnte im Experiment nicht entschieden werden – das Mienenspiel der Bonobos hat weniger Ausdruckskraft als unseres –, Sarabian vertröstet auf Folgetests, auch bei der Frage, ob Bonobos ihre Reaktion auf eine mögliche Gefahr anderen signalisieren, mit Gesten oder Lauten etwa.

Aber eine Gemeinsamkeit mit uns zeigte sich schon: Ekel ist nicht reine Natur, er wird auch anerzogen, oder, vorsichtiger: Er kommt mit dem Reifen. Ganz junge Bonobos scheuten vor Fäkalien und Erde so wenig zurück, wie Menschenbabys es tun. Möglicherweise hat das bei uns den Grund, dass das Immunsystem des Körpers sich in Gefahren einlernt und erst später um das Immunsystem des Verhaltens ergänzt wird, das mit Ekel für Abstand von möglichen Krankheitserregern sorgt.
Und auch für Abstand von sozial Bedrohlichem, unfairem Verhalten etwa, das hat Hannah Chapman (Toronto) früher experimentell gezeigt, im Ultimatum-Spiel, in dem ein A vom Experimentator Geld erhält und einem B davon abgeben kann, so viel er will. B kann ablehnen, wenn er das Angebot zu unfair findet. Und beim Ablehnen stellt sich das Ekelgesicht ein: „Amoral ruft gleichen Ekel hervor wie übler Geschmack“, schloss Chapman (Science 323, S. 1222).

Manche halten Ekel deshalb für den Ahnherrn der Moral, aber er ist zweischneidig, kann sich auch gegen sozial Unliebsame richten und etwa Obdachlose ausgrenzen, davor hat Psychologe Jonathan Haidt nach entsprechenden Experimenten gewarnt (Nature 447, S. 768).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)

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