Trüben bei Alzheimer Viren das Hirn?

Vielleicht hat man seit Jahrzehnten am falschen Ort gesucht.
Vielleicht hat man seit Jahrzehnten am falschen Ort gesucht.(c) Imago
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Die Alterskrankheit ist unverstanden und unheilbar, vielleicht hat man bisher am falschen Ort nach Ursachen gesucht. Nun deutet viel darauf, dass sie im Zusammenwirken von Erregern und Immunsystem liegen.

Der Schrecken der alternden Gesellschaften wurde erstmals 1906 diagnostiziert, vom Psychiater Alois Alzheimer an einer eher jungen Frau, der 51-jährigen Auguste Deter. Vom Verhalten her lasse sich der Fall „unter keine der bekannten Krankheiten einreihen“, protokollierte der Arzt, er sah das auch physiologisch bestätigt, als er nach dem Tod seiner Patientin ihr Gehirn obduzierte: Der „Krankheitsprozess“ weiche „anatomisch von allen bekannten ab“, durch „sehr merkwürdige Veränderungen von Neurofibrillen“.

Das war der Stand von 1906, das ist der Stand von heute, mit dem Unterschied, dass in den Gehirnen nicht nur Fibrillen aufgefallen sind – ineinander verdrehte Fasern des Proteins Tau –, sondern auch Ablagerungen, Plaques eines anderen Proteins, β-Amyloid. Vor allem denen wandte die Pharmakologie sich zu, sie wollte den Aufbau verhindern oder den Abbau beschleunigen, man forschte mit enormem Aufwand und ohne jeden Erfolg, zu Jahresbeginn stellte Pharmagigant Pfizer die Forschung ein, zuvor war Eli Lilly in einem großen klinischen Test gescheitert.

Aber vielleicht hat man seit Jahrzehnten am falschen Ort gesucht, niemand weiß, ob die Fibrillen und Plaques Ursachen des Leidens sind oder es nur anzeigen. Und 1952 schon kam erstmals der Verdacht, diese Demenz könnte durch ein „langsames Virus“ verursacht sein, eines, das sehr lange braucht, bis es Schaden anrichtet.

Solche Hinweise gab es immer wieder, verschiedenste Bakterien und Viren gerieten ins Visier, 1980 erstmals auch ein Herpesvirus, echte Nachweise waren allerdings nicht dabei. Aber nun kommt ein starkes Indiz von einer Gruppe um Ben Readhead (Mount Sinai, New York). Die war gar nicht hinter Mikroorganismen her, sondern analysierte auf der Suche nach Zielen für Medikamente Gehirnproben in aller Breite, von Genen über Proteine bis zu Netzwerken. „Aber immer wieder sprangen uns zwei Viren an“, berichtet Readhead: Die Herpesviren HHV-6a und HHV-7, sie waren in Alzheimer-Gehirnen sehr viel häufiger als in gesunden oder Gehirnen mit anderen Leiden. Und sie interagieren mit Genen des Menschen, die man mit erhöhten Alzheimer-Risken in Zusammenhang bringt (Neuron 21. 6.).

Mikroben unter Verdacht

Allerdings heißt das nicht, dass diese Herpesviren die Verursacher sind oder dass nur sie mitspielen können: Zum einen sind Herpesviren weit verbreitet – 90 Prozent der Kinder in den USA haben sie –, zum anderen sind eben auch andere Mikroben unter Verdacht. Der jetzige Befund deutet eher in die Richtung, dass es um das Zusammenwirken von Erregern und Immunsystem geht: Eine der Interaktionen im Gehirn ist die, dass die Herpesviren die Produktion der Vorläufer von β-Amyloiden anregen. Und deren Plaques sind wohl keine Symptome, sondern Abwehrversuche: Sie kapseln Erreger ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2018)

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