Baugeschichte

Stephansdom: Gehämmert, gemauert und getauft

St. Stephan, in seiner gotischen Bauform seit 500 Jahren unverändert.
St. Stephan, in seiner gotischen Bauform seit 500 Jahren unverändert.(c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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300 Jahre lang befand sich im Zentrum Wiens eine Großbaustelle. Die Stadtbürger finanzierten die Errichtung der Stephanskirche, in der das liturgische Leben ohne Unterbrechung fortgeführt werden musste.

Kirchliche Feiern, Gottesdienste, Taufen, Hochzeiten und Begräbnisrequien inmitten einer Großbaustelle: Im liturgischen Leben des Wiener Stephansdoms war dies für drei Jahrhunderte der alltägliche Vorgang. Erst im 16. Jahrhundert wurde das Baugeschehen eingestellt und der Nordturm blieb unvollendet. In früheren verschiedenen Bauphasen mussten während kirchlicher Zeremonien anstelle des fehlenden Daches Holzplanken gelegt oder noch offene Fensteröffnungen mit Tierhäuten oder feinmaschigen Netzen ausgefüllt werden.

Die Wiener Kunsthistorikerin Barbara Schedl hat anhand eines Quellenmaterials von rund 1600 Urkunden sowie von Kirchenrechnungen und Texten von Rechtsgeschäften wie Stiftungen, Testamenten und Ablässen ein Geschichtsbild der Stephanskirche von circa 1200 bis ins 16. Jahrhundert nachgezeichnet. 2012 und dann noch einmal 2015 unterstützte der Wissenschaftsfond FWF das Forschungsprojekt „St. Stephan: Architektur der Schriftquellen“ und „Kultobjekte im Konnex der Schriftquellen“. Barbara Schedl hat nun ein wissenschaftlich fundiertes Buch über die Baugeschichte der gotischen Kirche vorgelegt.

Die Anfänge der Stephanskirche können allerdings nicht exakt rekonstruiert werden. „Zu ungenau sind die Schriftquellen, so überhaupt welche vorhanden sind“, sagt Barbara Schedl. Die Dozentin für Kunstgeschichte der Uni Wien nennt als erste namentliche Erwähnung von St. Stephan das Jahr 1222 (oder kurz danach), als in der Kirche laut einer Urkunde ein Rechtsakt vorgenommen wurde. Der Bau der anfangs noch vor der Stadtmauer gelegenen romanischen Kirche ist dann aber mit mehreren Rechnungsgeschäften dokumentiert. 1267/70 war die romanische Kirche vollendet, um das Jahr 1300 begannen die Planungen für eine neue, größere Kirche. „Diese 30 Jahre waren die einzigen, in denen keine Bautätigkeit stattfand“, sagt Schedl bezüglich der von ihr untersuchten drei Jahrhunderte. Aber die romanische Kirche ist in der wachsenden Stadt zu klein geworden.

Vorerst legte man um den romanischen Teil die (heutige) gotische Außenmauer, dann wurde die alte Substanz abgerissen. Bis auf die beiden Heidentürme und dem Riesentor – dem heutigen Haupteingang – blieb von der romanischen Bausubstanz nichts erhalten. Das neue Langhaus war um 1430 vollendet, der Südturm – mit 136 Metern der damals höchste im Deutschen Reich – mit dem Aufsetzen des Abschlussknopfes im Jahr 1433. Die Arbeiten am Nordturm wurden etwa 100 Jahre später endgültig eingestellt.

Ablasserlöse für den Bau

Die Landesfürsten, also die Babenberger und Habsburger, unterstützten die Bauetappen, in bescheidenem Ausmaß mit eigenen Mitteln, vor allem aber mit geistigen Privilegien für die Kirche und die Bürger. So erwirkten sie bei verschiedenen Bischöfen und in mindestens einem Fall auch bei dem in Avignon residierenden Papst Genehmigungen für Ablasszahlungen. Bei diesen Ablassofferten wurde den Bürgern im Falle von Spenden an den Kirchenfonds ein Vorschuss auf ihr überirdisches Seelenheil versprochen – also sozusagen ein regionaler Vorgang im Vergleich zum länderübergreifenden Ablasshandel, mit dem der Bau des Petersdoms in Rom finanziert wurde.

Dabei trugen die Wiener bereits maßgeblich zum Kirchenbau bei. Sie gaben Geld für besondere liturgische Festakte oder für einzelne bauliche Maßnahmen, wie für die Ausgestaltung eines Altars oder für die ziemlich kostspielige Verglasung eines bunten Fensters. Hauptsächlich wurden Messen gekauft, die nach dem Ableben in periodischen Abständen gelesen wurden. „Mit Spenden für diese Messen wollte der Bürger ewiglich im Gedächtnis bleiben“, so Barbara Schedl.

Die Kirchenkasse nahm alles, was sie bekommen konnte. So verzeichnet ein Rechnungseintrag, dass ein „schäbiger Pelzmantel“ gegeben wurde, den man dann zu barem Geld machte. Die Bandbreite der für das Seelenheil gestifteten Spenden reicht bis zu Beträgen von 200 Pfund Pfennigen – dies entsprach dem Wert eines Zinshauses – oder gar bis zu Anwesen und Liegenschaften. Das Ablasswesen beflügelte im 14. und 15. Jahrhundert noch die Geldleistungen. Erst um und nach dem Jahr 1500 ging die um die Ablässe bestandene Euphorie zurück, nach Martin Luthers Kampf gegen den Ablasshandel versiegte sie vollends. Hand in Hand damit ging das Interesse für den Wiener Sakralbau zurück. Damit war kein Geld für den Weiterbau des Nordturms vorhanden, wobei technische Bauprobleme hinzukamen. Zudem wurden andere Probleme, wie etwa die Türkenbelagerung von 1529, weitaus vordringlicher.

Im Rückblick erweist sich der Bau von St. Stephan eindeutig als Leistung der Bürgerinnen und Bürger von Wien. Die Stadt selbst finanzierte die Schule von St. Stephan und die Besoldung des fix angestellten Türmers.

Der lange Weg zum Bistum

Die Verdienste der Landesfürsten lagen bei der Rangstellung der Stephanskirche. In den Anfängen des mittelalterlichen Wien ging das religiöse Leben vom Schottenkloster und der Schottenkirche aus. Mit der babenbergischen Stadterweiterung gegen Ende des 12. Jahrhunderts rückte die vorher außerhalb der römischen Legionsmauern gelegene Stephanskirche ins Zentrum des neuen Stadtgebietes. Der Babenbergerherzog Leopold VI. (1194–1230) wollte beim Papst die Errichtung eines Wiener Bistums erreichen. Neben dem zuständigen Bistum Passau wandte sich auch das Schottenkloster – erfolgreich – gegen dieses Vorhaben.

Mit dem Beginn des gotischen Neubaus wurde St. Stephan zur unbestrittenen Pfarrkirche der Wiener. Herzog Rudolf IV. besiegelte 1359 die Vorrangstellung der Stephanskirche. Er bezeichnete sich als Patronatsherr der Kirche, bestimmte den Kirchenbau zur Grablege der Habsburger und errichtete ein Kollegialstift mit 24 Chorherren. Erst ein Jahrhundert später, 1469, wurde die Stephanskirche Sitz des (noch kleinen) neu geschaffenen Bistums.

Info

Barbara Schedl: „St. Stephan in Wien“
Böhlau Verlag, 324 Seiten, 30 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2018)

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