Gedächtnis-Schalter ins Gehirn?

Einen Wirkstoff ins Gehirn zu bringen, und das auch noch präzise, ist nicht einfach. Aber mit Gentechnik und Ultraschall geht es.
Einen Wirkstoff ins Gehirn zu bringen, und das auch noch präzise, ist nicht einfach. Aber mit Gentechnik und Ultraschall geht es.(c) Voisin/Phanie/picturedesk.com
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Mit einem Hightech-Verfahren konnte die Erinnerung von Mäusen manipuliert werden, breit versuchen das schon viele Menschen mit Medikamenten.

Wie bringt man etwas in ein Menschenhirn hinein oder aus ihm heraus? Na ja, mit feinfühliger Pädagogik oder derbem Drill. Aber selbst die besten Lehrer sind schon verzweifelt, und die härtesten Schleifer an Grenzen gestoßen. Leicht zugänglich sind Gehirne nicht, und das ist nicht nur metaphorisch gemeint: Wer mit Medikamenten in ein Gehirn eingreifen will, stößt rasch an eine Grenze, die der „Blut/Hirn-Schranke“. Mit der hat das Gehirn sich gegen den Körper abgeschottet bzw. gegen Krankheitserreger, die im Blut zirkulieren, und durch diese Schranke hindurch kommen nur extrem kleine Moleküle und solche, für die es eigene Transporter-Proteine gibt.

Das stellt die Pharmakologie vor Probleme, etwa bei der Therapie von Hirnkrebs, bei der Wirkstoffe nicht irgendwo ins Gehirn sollen und auch nicht überall hin, sondern punktgenau an die Tumore. Dazu hat man in einem Hospital in Toronto ein Verfahren entwickelt, bei dem Luftbläschen und Ultraschall helfen: Die Luftbläschen werden zusammen mit dem Medikament ins Blut gespritzt, und wenn das an die entsprechende Hirnregion gepumpt worden ist, wird mit Ultraschall bestrahlt. Das bringt die Luftbläschen ins Oszillieren, damit öffnen sie die Blut/Hirnschranke.

Dieses Verfahren wurde nun im Labor von Mikail Shapiro (CalTech) modifiziert bzw. generalisiert: Er öffnete damit die Schranke, um harmlose Viren einzuschleusen, sie dienen als Vektoren, das sind Genfähren, die Zielzellen mit Rezeptoren ausstatten, an ihnen sollen dann maßgeschneiderte Wirkstoffe andocken. Das Ganze heißt „acoustically targeted chemogenetics“, kurz ATAC, und im ersten experimentellen Test zeigte sich, was da etwa attackiert werden kann: Erinnerung. Die hat Shapiro bei Mäusen ausgeschaltet, indem er die zuständigen Hirnzellen medikamentös stillstellte, nun konnten die Tiere sich nichts mehr merken (Nature Biomedical Engineering 9. 7.).

Hirndoping nimmt auch bei uns zu

Das könnte man auch Gehirnwäsche nennen, und Menschen würden bei ihrem Zentralorgan so etwas nie zulassen! Na ja, viele scheuen Experimente mit ihren Gehirnen nicht, sondern unternehmen sie ganz freiwillig und ohne jede ärztliche Kontrolle selbst. Manche wollen etwas vergessen, traumatische Kriegserlebnisse etwa mit der Hilfe von MDMA („Ecstasy“) – das brachte vereinzelt solche Erfolge, dass die zuständige US-Behörde FDA im Vorjahr erstmals einen großen Test mit dieser Droge freigegeben hat –, meist aber geht es um das Gegenteil, das Erinnern und die Konzentration. Das läuft unter dem Titel „pharmacological cognitive enhancement“ (PCE), es nahm seinen Ausgang unter Studenten in den USA, die sich bzw. ihr Gehirn mit Medikamenten für Prüfungen fit machen wollten, etwa mit Ritalin, das gegen Hyperaktivität verschrieben wird, oder auch mit Modafinil, das gegen Tagesschläfrigkeit helfen soll.

Diese Mittel werden nun in den Dienst des Hirndopings gestellt, und ihre Nutzung wird periodisch in anonymen Internetbefragungen zum Drogengebrauch erhoben, in zuletzt 15 Industrieländern. Über 100.000 Antworten liefen ein, Larissa Maier (UC San Francisco) hat sie ausgewertet (International Journal of Drug Policy 9. 7.): Demnach führen die USA weit, mit 21,6 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2017 (gegenüber 18,7 2015) – genutzt wird vor allem Ritalin, das in den USA häufig zu seinem eigentlichen Zweck verschrieben wird –, die größten Zuwachsraten allerdings hat Europa: In Frankreich schnellte die Zahl der User von 0,6 auf 4,6 Prozent hoch, in Großbritannien von 1,7 auf 5,1. Auch in Österreich haben sich die Zahlen fast verdreifacht, von 0,8 auf 2,3 Prozent, zudem stieg das Hirndoping mit illegalen Drogen wie Kokain und Amphetaminen von 1,6 auf 6,7 Prozent.

Anders als die Letztgenannten sind Medikamente wie Ritalin nicht illegal, aber ein Rezept braucht man schon: 48 Prozent der Befragten bekommen die Medikamente von Freunden, sechs Prozent von Familienmitgliedern, zehn von Dealern oder aus dem Internet, vier vom Arzt verschrieben, der Rest hüllt sich in Schweigen. Ob das etwas nutzt oder die Risken überwiegen, ist umstritten, allerdings werden die Userzahlen dadurch relativiert, dass die Medikamente nicht regelmäßig, sondern nur periodisch zweckentfremdet werden, vor Prüfungen etc. eben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2018)

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