Kultur mit anderen Sinnen erlebbar machen

Der Zugang zu Kultur ist ein Menschenrecht – zumindest auf dem Papier. Wiener Wissenschaftler arbeiten an Konzepten, wie auch Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung Kulturveranstaltungen genießen können.

Geschätzt 80 Millionen Menschen in Europa leben mit einer Behinderung. Um ihnen die Teilhabe am kulturellen Erleben zu ermöglichen, können Kulturveranstalter neue Wege beschreiten: Das Zentrum für Translationswissenschaft an der Uni Wien hat etwa im Erasmus-plus-mitfinanzierten Projekt „Accessible Culture and Training“ (ACT) für Menschen, die nur eingeschränkt sehen oder hören können, Alternativen entwickelt, wie diese trotzdem Kulturveranstaltungen genießen können.

In Barcelona und Flandern ist in dieser Hinsicht schon vorgearbeitet worden. Hier finden Gebärdendolmetscher auf Theaterbühnen ihren besonderen Platz. Dieser muss gut beleuchtet sein, ohne die Effekte des Bühnengeschehens zu stören. Das bedeute manchmal eine Ablenkung für die hörenden Zuschauer. „Aber im Laufe einer Vorstellung gewöhnen sich die meisten daran“, erklärt Barbara Heinisch, Forscherin am Zentrum für Translationswissenschaft und ACT-Projektmitarbeiterin in Wien.

Als sehr gut umsetzbar hat sich, so Heinisch, die Audiodeskription von Stücken für blinde oder sehbehinderte Menschen erwiesen. In etlichen Theatern, in Wien beispielsweise im Burgtheater und im Volkstheater, werde die auf der Bühne stattfindende Handlung während der Aufführung in den Dialogpausen akustisch geschildert. Eine Audioeinführung erläutert vor dem Stück die Handlung. Requisiten werden beschrieben, die Kostüme in ihrem historischen oder modernen Kontext erklärt. Manchmal dürfen sie auch berührt und ertastet werden.

Meistens ermöglichen Kulturveranstalter diese Art von Barrierefreiheit erst, wenn es Kundenbeschwerden gegeben hat, berichtet Heinisch. Manchmal werden öffentliche Zuschüsse gewährt, auch für die Errichtung von Rampen oder Brailleschrift an Aufzugknöpfen oder Sitzplatznummern. Wichtiger Baustein für den barrierefreien Zugang ist die sogenannte eAccessibility, etwa die entsprechende Gestaltung des Online-Auftritts der Veranstaltungen durch starke Kontraste und große Schrift. Die Option, sich Texte vorlesen lassen zu können, ist ebenso hilfreich.

Davon profitieren nicht nur behinderte Menschen. „Indem wir Übersetzer dafür ausbilden, Strategien und Maßnahmenpläne für Kulturveranstaltungen zu entwickeln, wird deren Berufsfeld erweitert“, berichtet Heinisch. Der österreichische Beitrag zu dem internationalen Projekt, das von der Universitat Autònoma de Barcelona initiiert wurde, ist die Erarbeitung eines Kompetenzprofils sowie eines Curriculums für eine Online-Ausbildung (MOOC).

Personal sensibilisieren

In sechs Wochen wird mithilfe englischsprachiger Videos vermittelt, wie Dolmetscher oder Kulturveranstalter sich zu Experten für barrierefreie Kulturveranstaltungen fortbilden können. Sogenannte Media Accessibility Experts/Manager for the Scenic Arts reflektieren Behinderung, Barrierefreiheit und Inklusion. Sie analysieren Veranstaltungsorte und entwickeln Konzepte. Dienstleistungen im Bereich Barrierefreiheit, wie Gebärdensprachendolmetschen, Übertitel oder Audioeinführung sowie Kommunikation und Management sind Thema. Wichtig sei, dass das ganze Team beteiligt sei. „Besonders das Personal an Ticketschaltern muss für unterschiedlichste Bedürfnisse sensibilisiert werden“, so Heinisch.

LEXIKON

eAccessibility ist ein Schlüsselfaktor für Inklusion und ermöglicht Zugang zu Wissen bzw. Information. Konkret ist damit die Nutzung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien und assistiven Technologien (AT) gemeint, um Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am täglichen Leben zu ermöglichen. Grundlage ist das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das Österreich 2008 ratifiziert hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2018)

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