Wir werten andere für eigenen Seelenfrieden ab

"Die meisten wollen nicht gleich sein, sie wollen sich unterscheiden und abgrenzen", Laura Wiesböck, Soziologin, Universität Wien.
"Die meisten wollen nicht gleich sein, sie wollen sich unterscheiden und abgrenzen", Laura Wiesböck, Soziologin, Universität Wien.(c) MANFRED WEIS
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Soziologie. Was hält eine Gesellschaft zusammen, welche Kräfte wirken trennend? Die Soziologin Laura Wiesböck forscht über die ungleiche ökonomische und moralische Bewertung von Menschengruppen als sozialen Keiltreiber.

Schublade auf, Emanze rein. Oder Sozialschmarotzer. Oder Gutmensch. Oder Hautevolee. Hand aufs Herz, wer kennt und macht das nicht? Die Soziologie bietet Erklärungsansätze dafür, warum Menschen sich manchmal so scharf voneinander abgrenzen und mit einer Zuordnung gleich ganze soziale Gruppen verunglimpfen. Im Grunde gehe es darum, die eigene Gruppenzugehörigkeit positiv zu bewerten – das besagt eine auf den britischen Sozialpsychologen Henri Tajfel zurückgehende Theorie. Wenn wir also mit dem Finger auf eine Gruppe zeigen und feststellen, dass ihre Mitglieder zum Beispiel faul sind, dann wollen wir damit eigentlich nicht mehr, als zu unterstreichen, dass wir selber das Gegenteil davon sind, nämlich fleißig.

Die Soziologin Laura Wiesböck von der Uni Wien hat untersucht, wie sich die Zugehörigkeitskategorie „Wir“ in den gesellschaftlichen Bereichen Arbeit, Geschlecht, Einwanderung, Armut und Vermögen, Kriminalität, Konsum, Aufmerksamkeit und Politik festmacht. Darauf aufbauend entstehe dann, so die Wissenschaftlerin, ein selbstgerechter Blick auf „die anderen“, also auf Vertreter und Vertreterinnen anderer Gruppen: „In Gesellschaften, die von Leistung, Konsum und Vergleichen gelenkt werden, liegen Urteile über andere nahe.“ Nachzulesen ist ihre Arbeit in dem kürzlich erschienenen Buch „In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte Blick auf die Anderen“ (Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 22 Euro).

Selbstgerecht schubladisieren

Der Blick auf andere ist von der eigenen sozialen Lage abhängig und in vielen Milieus allgegenwärtig. „Auch Bildung schützt nicht vor unbewusster und bewusster Selbsterhöhung“, sagt Wiesböck. „Für viele Menschen mit höherem Bildungsstandard ist es eine wahrliche Genugtuung, über die dummen Wählerinnen und Wähler von rechtspopulistischen Parteien den Kopf zu schütteln.“ Kurzum: Der selbstgerechte Blick auf Gruppen, denen man sich nicht zugehörig fühlt, sorgt für den eigenen Seelenfrieden. Besonders perfide kommt dieses Verhalten dort daher, wo es eng mit moralischen Fragen einhergeht – zum Beispiel beim Thema Konsum. „Konsum und soziale Schicht sind vielfältig miteinander verknüpft“, sagt Wiesböck. „Viele Leute versuchen, durch symbolkräftige Produkte Zusatzprestige zu erwirken. Je erfolgreicher und finanziell unabhängiger jemand ist, desto mehr treten die klassischen Geltungssymbole in den Hintergrund, desto subtiler werden die Erkennungsmerkmale.“

Mitunter rückt die Zurschaustellung von Begütertheit sogar in den Hintergrund: „Heute sind es auch der faire Produktlebenszyklus und die nachhaltige Art der Herstellung, die den Status des Produktes und der Konsumentinnen und Konsumenten begründen.“ Wer Fairtrade kauft und Ökotourismus macht, signalisiert ein gesellschaftliches Bewusstsein und eine Verantwortungshaltung gegenüber der Umwelt. Das könne zu einem moralischen Überlegenheitsgefühl führen. Dabei ist die Ethik längst selbst zum Konsumartikel geworden.

Wiesböck plädiert in ihrem Buch dafür, dass wir uns bewusst werden, dass Meinungen keine absolute Wahrheit kennen und das Produkt einer anderen Lebenssituation sind. Sie hält es deshalb für notwendig, den strengen Blick, den wir auf andere richten, „vielleicht des Öfteren auch einmal auf sich selbst zu verlagern“. [ Manfred Weis ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)

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