Söldner, die in den Krieg humpelten

Eine Anthropologin untersucht Skelette aus dem Massengrab der Schlacht von Lützen (1632).
Eine Anthropologin untersucht Skelette aus dem Massengrab der Schlacht von Lützen (1632).LDA Sachsen-Anhalt/Juraj Lipták
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Die 7000-jährige Geschichte des Kriegs wird in einer neuen Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum Wien gezeigt. Eine imposante und erschütternde Schau.

Auch der Laie erkennt sogleich, dass man diesen Akt der Aggression nicht überleben konnte: Das Schädeldach ist in Dutzende Einzelteile zersplittert, was offenbar durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand – einem Steinbeil oder einer Keule – hervorgerufen wurde. Passiert ist dies vor 7000 Jahren in der Nähe der heutigen Weinviertler Ortschaft Schletz (bei Asparn/Zaya): Laut aktuellem Kenntnisstand wurde damals ein ganzes Dorf von Angreifern niedergemetzelt. Die Leichen blieben unbestattet liegen, an den Knochen sind sogar Bissspuren von Wildtieren zu sehen.

Schletz gilt in der Wissenschaft als eines der ältesten Zeugnisse für das Phänomen „Krieg“, dem nun eine Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) gewidmet ist. Dieser Einstieg in die diese Woche eröffnete Schau ist für sich gesehen schon erschütternd. Doch das Entsetzen wird über mehrere Stationen – Bronze- und Eisenzeit, Antike, Völkerwanderungszeit und Mittelalter – noch weiter gesteigert, bis man im letzten Saal beim zentralen Ausstellungsstück angelangt ist: bei einem Massengrab, in dem in mehreren Schichten übereinander 47 Skelette von Menschen liegen, die die verlustreiche Schlacht bei Lützen (Sachsen-Anhalt) am 6. November 1632 nicht überlebt haben – so wie 6000 weitere Leidensgenossen, unter ihnen auch die Heerführer.

Massengrab als Memento mori

Das Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg wurde 2011 bei Ausgrabungen auf dem historischen Schlachtfeld in Ostdeutschland gefunden, als Block geborgen und in jahrelanger Arbeit am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle erforscht und konserviert. Nun ist dieses Stück für sechs Monate nach Wien übersiedelt und führt dem Besucher als senkrecht stehende riesige Wand die Brutalität des Kriegs vor Augen.

Die Ausstellungsgestalter haben sich bewusst dafür entschieden, echte Skelette zu zeigen, wie der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Harald Meller, erläutert. „In katholisch geprägten Regionen ist das Ausstellen von Knochen Teil der Kultur“, sagt er mit Hinweis auf die verbreitete Praxis des Zurschaustellens von Reliquien. „Wir stellen die Knochen nicht um des Ausstellen Willens aus, und nicht als Schaustücke, sondern als Denkmal, als Mahnmal, als Memento mori“, so der Leiter des Museums in Halle, wo das Massengrab schon vor zwei Jahren das Herzstück einer viel beachteten Ausstellung war.

Entwicklung des Kriegs

Für die nunmehrige Wiener Version der Schau wurde eine Erweiterung des Themas vorgenommen: Der „Krieg“ wurde um den Aspekt der Evolution angereichert – also wie sich Kriege von der Tötung Einzelner zum Massenmord wandelten, wie die Entwicklung von mythischen „Helden“ zum namenlosen Soldaten verlief und wie aus Werkzeugen Waffen wurden.

Diese Veränderungen sind archäologisch gut fassbar und mit zahlreichen Ausstellungsstücken – viele aus deutschen, noch mehr aus österreichischen Sammlungen – belegt: In der Steinzeit wurden Alltagsgegenstände und Jagdwaffen wie Beile oder Pfeil und Bogen auch als Kriegswaffen eingesetzt. Das erste Gerät, das ausschließlich als Waffe diente, war das Schwert, das in der Bronzezeit erfunden wurde und ab der Eisenzeit zur gefährlichsten Waffe wurde. Von der Einführung bezahlter Söldner als Soldaten in stehenden Heeren durch die Römer bis ins späte Mittelalter änderte sich nur wenig an der Kriegsführung. Erst die routinemäßige Verwendung von Schusswaffen ab dem 16. Jahrhundert führte zu grundlegenden Neuerungen.

Davon legt auch das Massengrab aus Lützen Zeugnis ab: Vor der Wand mit den Gerippen sind unzählige Bleikugeln drapiert, die im Boden, teils gar in den Schädeln von Toten gefunden wurden. Per Touchscreen kann jedes einzelne der 47 Skelette hervorgehoben werden – auf dem Bildschirm sind alle Merkmale des betreffenden Kriegsopfers abrufbar. Darin äußert sich eine weitere grundlegende Entscheidung der Ausstellungsmacher: Krieg wird aus der Perspektive der Opfer erzählt – und nicht aus der herkömmlichen Sicht der Sieger.

Der Perspektivwechsel bringt erschreckende Erkenntnisse: Bei vielen auf Schlachtfeldern gefunden Skeletten findet man Anzeichen von Krankheiten, Verletzungen, Abnützungserscheinungen und Folgen von Mangelernährung. Bei den Gefallenen handelt es sich also nicht um strahlende Helden, sondern um ausgezehrte Menschen, die in den Krieg humpelten.

ZUR AUSSTELLUNG

„Krieg. Auf den Spuren einer Evolution“ heißt die neue Ausstellung im Naturhistorischen Museum Wien. Ein Zusatz zur Schau (über Medizin im Ersten Weltkrieg) befindet sich im „Narrenturm“ auf dem Campus der Uni Wien.

Vermittlungsprogramm. Begleitend gibt es zahlreiche Vorträge, Führungen, einen Blog, eine Friedenswerkstatt und Workshops für Schulen.

Alle Infos:www.nhm-wien.ac.at/krieg

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2018)

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