Neandertaler mussten nicht riskanter leben

Warum sind die Neandertaler verschwunden?
Warum sind die Neandertaler verschwunden?APA
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Unsere Brüder hatten zwar oft schwere Kopfverletzungen, aber nicht mehr als unsere Ahnen.

Warum die Neandertaler vor etwa 40.000 Jahren verschwanden, als Homo sapiens gerade eingewandert war aus Afrika, ist eines der Rätsel der Anthropologie. Immerhin blieb ihnen noch Zeit, nicht ganz auszusterben: Zwei bis vier Prozent unserer Gene sind von ihnen. Aber als Art sind sie, die 600.000 Jahre Eiszeit auf Eiszeit überlebt hatten, verschwunden, und H. sapiens, der eben erst aus der Wärme eingetroffen war, konnte sich halten.

Warum nur? Ausgerottet hat H. sapiens seine Brüder nicht – es gibt keinerlei Spuren von Gemetzeln –, vielleicht ist er ihnen einfach über den Kopf gewachsen, weil er ihnen überlegen war, an Feinmotorik im Körper und vor allem an Intelligenz? Als „graue, haarige, wolfsähnliche Ungetüme“ hatte H. G. Wells die Neandertaler imaginiert, es war das lang herrschende Bild: Ungeschlachte Kraftkerle seien sie gewesen, in allen anderen Belangen den Neuankömmlingen weit unterlegen. So hätten sie etwa nur Großwild gejagt, während die Nahrungspalette von H. sapiens viel breiter war.

Ihr Leben in der Kälte war härter

Das hat sich als falsch erwiesen, auch andere Vorurteile sind erodiert: Neandertaler hatten geschickte Hände, sie verfertigten Schmuck und schmückten Höhlenwände, manche bestatteten ihre Toten. Allerdings hatten sie ein härteres Leben, das hat Tanya Smith (Brisbane) gerade am Vergleich von Zähnen von Neandertalern und H. sapiens gezeigt, die vor 250.000 respektive 10.000 Jahren in der gleichen Höhle in Südfrankreich lebten. Neandertaler waren als Kleinkinder in ihrer Kälte, vor allem der der Winter, häufiger krank (Science Advances 31. 10.).

Aber sie überlebten die Kälte. Mussten sie vielleicht mehr Risken tragen, vor allem die Männer auf der Jagd? Man hat bei Neandertalern viele schwere Kopfverletzungen gefunden – tödliche und verheilte – und das darauf zurückgeführt, dass sie mit Steinen und Lanzen auf Großwild losgingen, während H. sapiens mit Waffen wie Pfeilen sichereren Abstand hielt. Auch das war ein Irrtum, er rührte vor allem daher, dass man die Verletzungsraten der Neandertaler mit denen heutiger Menschen verglich. Nun hat Katerina Harvati (Tübingen) Schädeln von 114 Neandertalern die von 90 frühen H. sapiens gegenübergestellt und gleiche Raten gefunden (Nature 12. 11.).

„Das widerspricht der Hypothese, dass Neandertaler mehr Kopfverletzungen hatten“, schließt Harvati und verfolgt eine von ihr gefundene Spur: Neandertaler überlebten Kopfverletzungen weniger lang, warum auch immer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2018)

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