Ethikdebatten im Schatten der Crispr-Babys

Dilemmata: Mit der Genschere lässt sich ins Erbgut eingreifen, mit Algorithmen in die öffentliche Meinungsbildung.
Dilemmata: Mit der Genschere lässt sich ins Erbgut eingreifen, mit Algorithmen in die öffentliche Meinungsbildung.(c) REUTERS (Mike Segar)
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Heute beschäftigen uns ethische Fragen, von deren Existenz wir gestern nichts wussten. Das fordert die Wissenschaft.

Ethik wird längst nicht mehr nur in Kommissionen oder Philosophiezirkeln verhandelt. Ethik ist im Mainstream angekommen: „Fernsehsender lassen das Publikum über ethische Fragen abstimmen, und am Stammtisch werden Weichensteller-Dilemmata diskutiert“, konstatiert Christian Müller, Wissenschaftsredakteur der APA (Austria Presse Agentur), die vergangenen Dienstagabend in Wien zur Podiumsdiskussion über die großen Herausforderungen der Ethik und die Konsequenzen für die Wissenschaft geladen hatte.

Postfaktisches Händeringen

In ihrem der Diskussion vorangestellten Vortrag stellte die Politologin Barbara Prainsack von der Uni Wien die Ebenen der gegenwärtigen Ethikdebatte am Beispiel der ersten genveränderten Babys, der im November geborenen Zwillinge Lulu und Nana, und des mit dem Tabubruch weltweit einhellig in Kritik geratenen chinesischen Wissenschaftlers He Jiankui dar.

Zum einen gebe es eine Kontroverse darüber, was passiert ist: „Die Möglichkeit, die Faktizität zu beweisen, wird zum Teil der Ethikauseinandersetzung.“ So zweifelten nach Hes Schritt an die Öffentlichkeit sofort namhafte Wissenschaftler am Erfolg seiner Behandlung. Der Forscher hatte einen Eingriff in das Erbgut der durch künstliche Befruchtung gezeugten Schwestern mittels der Genschere Crispr/Cas9 vorgenommen, um die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Erst diese Woche bezeugte die chinesische Regierung nach einer offiziellen Untersuchung die Behauptung von He, der nun von der Justiz seiner Heimat zur Rechenschaft gezogen werden soll.

Zum anderen, so Prainsack, werde die öffentliche Aufmerksamkeit zunehmend zu einem Einflussfaktor: „Man kann sich gegen solche Geschichten wie jene der Crispr-Babys nicht mehr wehren. Und es bleibt nur wenig Platz und Zeit für Fragen, die vielleicht sehr, sehr große Auswirkungen auf das Leben von Menschen haben.“ Darüber hinaus führte Prainsack, auch Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und der European Group on Ethics in Science and New Technologies, den sogenannten Ethikimperialismus ins Treffen: „Woher kommen denn die Normen, die He Jiankui gebrochen hat? Sie kommen allesamt aus Nordamerika und Europa.“ Natürlich hätten sich diese zum großen Teil guten Normen über jahrelange Praxis etabliert, doch Tatsache sei, dass die Ethikexpertise von den reichen in die armen Länder fließt. Herrschafts- und Machtverhältnisse bestimmen demnach mit, was als ethisch gilt. Das ignoriere etwa, dass wir im Westen „fanatische Individualisten“ seien, asiatische Gesellschaften aber vielfach kollektivistisch geprägt sind.

Beschäftigten die Ethikkommissionen früher spezifische Themen wie Nabelschnurblut und Implantate, sind es heute große Felder wie die Zukunft der Arbeit, Genome Editing und Digitalisierung. Die Ethik löse sich also zunehmend aus einzelnen Feldern wie Medizin, Informationstechnik oder Wirtschaft und entwickle sich hin zu einer bereichsübergreifenden Ethik der fundamentalen Innovationen, so Prainsack: „Es handelt sich dabei um Technologien im weitesten Sinn, also nicht nur um materielle Dinge, sondern auch um Technologien, die aus einer Praxis bestehen.“ Als Konsequenz kommt es zu einer Externalisierung der Ethik – weg von den Praktikern hin zu Professionisten und Kommissionen.

Die Werte der Mittelklasse

Noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schrieb der Philosoph Hans Jonas, der das Feld der Bioethik mitgegründet hat, dass der Arzt in seiner Verantwortung „allein mit seinem Patienten und mit Gott“ sei. Bis vor Kurzem war es also in Ordnung, wenn ein Arzt ethische Fragen mit sich ausmachte – heute ist das ein Vorwurf, dem sich He indes stellen muss. Dieser Einstellungswandel und die damit verbundene Demokratisierung ethischer Überlegungen führt zu einer Forschung, die rechenschaftspflichtig ist. Die Externalisierung und Expertisierung mündet als Folge jedoch gleichzeitig in eine Entpolitisierung. Fragen nach Gerechtigkeit, die eigentlich politische Implikationen haben, wurden von den Praktikern weg an externe Autoritäten und Institutionen getragen.

Davon ausgehend wies Prainsack darauf hin, dass Ethikkommissionen vor allem die Werte der Mittelklasse trügen und Gerechtigkeitsfragen häufig ausblendeten. Sie stünden für eine reaktive Ethik, die nicht selbst Agenden setze. Als Beispiel dafür nennt die Politologin die digitale Überwachung. Auf dem Podium schien man sich jedenfalls einig: Es müsse weniger darum gehen, die Macht von Konzernen wie Facebook stückwerkhaft zu regulieren, sondern es brauche einen breiten Diskurs darüber, wie mit den Daten, die eigentlich denen gehören, die sie erzeugen, umgegangen werden soll. Prainsack: „Wenn sich Leute darüber freuen, dass Facebook an Unis Ethikinstitute finanziert, dann stimmt mich das besorgt.“

Johann Čas vom Institut für Technikfolgenabschätzung der ÖAW (Österreichische Akademie der Wissenschaften) betonte in dem Zusammenhang, dass er es nicht als Hauptaufgabe der Ethik sehe, Forschung zu begrenzen. Er erinnerte an das Prinzip der „Human Agency“: „Die Menschen sollen bestimmen, was daraus gemacht wird.“ Doch die Relevanz ethischer Fragen werde – anders als in der Medizin – in vielen Bereichen der Wirtschafts- und Medienwissenschaften nicht gesehen, kritisierte Michael Litschka vom Department Medien und Wirtschaft an der Fachhochschule (FH) St. Pölten: „Plattformunternehmen wie Facebook haben ein ethisches Problem, weil sie sich nur als Technologieunternehmen sehen.“

Analog dazu wünschte sich der vierte Mitdiskutant, Lukas Kenner, stellvertretender Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Krebsforschung, ein basisphilosophisches Lehrangebot für Mediziner, Biologen und Biochemiker: „Die Studenten heute können mit ethischen Fragestellungen nichts mehr anfangen und empfinden diese eher als lästig und als Hürde, wenn man die Auflagen im Labor berücksichtigen muss.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2019)

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