Mit lauter Opfern ist kein Staat zu machen

Zu viel Gruppenidentität, zu wenig Gemeinschaftsgefühl? Die „Black Lives Matter“-Aktivistin Kandy Freeman protestiert vor dem Trump Tower in New York gegen die Polizeigewalt gegen Schwarze.
Zu viel Gruppenidentität, zu wenig Gemeinschaftsgefühl? Die „Black Lives Matter“-Aktivistin Kandy Freeman protestiert vor dem Trump Tower in New York gegen die Polizeigewalt gegen Schwarze.(c) REUTERS (© Stephanie Keith / Reuters)
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Fukuyamas neues Buch. Die Gesellschaft zersplittert in Gruppen, die sich gekränkt und benachteiligt fühlen. Das gebäre Populismus und bedrohe die Demokratie, warnt der Politologe. Seine Lösung: Kollektiver Stolz auf eine weltoffene Nation.

Wer einmal irrt, dem glaubt man nicht. Nach dem Fall des Kommunismus verkündete der US-Politologe Francis Fukuyama: Liberale Demokratie und globalisiere Marktwirtschaft haben keine Widersacher mehr, fortan gehe es nur noch um Feinschliff. Die These machte ihn berühmt. Das geflügelte Wort vom „Ende der Geschichte“ erhob sich in den Himmel des Zeitgeistes – und stürzte böse ab: Seit 2010 geht die weltweite Zahl der Demokratien wieder zurück. Autokraten, Populisten und Protektionisten machen sich breit. Der Vordenker hat die Nachsicht. Seine falsche Vision erntet nur noch Spott und Hohn.

Keine Sorge, er ist immer noch ein wohlsituierter Professor. Aber das Materielle ist nicht alles. Vielleicht schämt er sich für seinen Irrtum, oder er zürnt über Kritiker, oder er wäre gern wieder stolz auf sich. Solche Gefühle bestimmen den „Thymos“, den dritten Seelenteil bei Platon. Bei Fukuyama werden sie nun zur treibenden Kraft des Großen und Ganzen. In seinem jüngst auf Deutsch erschienenen Werk, „Identität“, erklärt er, warum der Weltgeist falsch abgebogen ist. Die nach Anerkennung dürstende Seele dient ihm als geheimer Grund für fast alles, was uns bewegt: islamistischer Terror, #MeToo-Debatte, der Wahlsieg Trumps, der Weiß-Schwarz-Konflikt in den USA, der Brexit. Kann er den hohen Anspruch einlösen?

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