Die Natur erholt sich vom Menschen – in Millionen Jahren

Aerial view with beautiful scenery of beach and Caribbean Sea Cozumel Quintana Roo Mexico Cozume
Aerial view with beautiful scenery of beach and Caribbean Sea Cozumel Quintana Roo Mexico Cozume(c) imago/Aurora Photos (David Santiago Garcia)
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Warum braucht die Biosphäre so lang, um sich nach einem Artensterben zu regenerieren? Fossiles Plankton liefert die Antwort.

Vor 66 Millionen Jahren stürzte ein Asteroid mit mindestens zehn Kilometern Durchmesser auf die Halbinsel Yucatan im heutigen Mexiko. Die gewaltigen Energiemassen, die sich dabei entluden, rotteten nicht nur die Dinosaurier mit einem Schlag aus. Fast drei Viertel aller Arten fielen der Katastrophe am Ende der Kreidezeit zum Opfer – einem von fünf großen Artensterben in der Erdgeschichte, dem jüngsten und schnellsten.

Zum zweitschnellsten könnte sich entwickeln, was der Mensch gerade in Gang setzt: die Zerstörung von Lebensräumen, die Verbreitung invasiver Arten, vor allem aber der rasant voranschreitende Klimawandel.

Alles nur Panikmache? Die Natur passt sich an jeden Wandel an, hört man immer wieder. Was stimmt: Sogar die fünf Katastrophen haben das Leben auf diesem Planeten nicht zerstören können. Aber es brauchte Millionen Jahre, bis sich die Biosphäre voll erholt und die Artenvielfalt ihr ursprüngliches Niveau erreicht hatte. Warum so lang? Diese Frage beschäftigt Paläontologen seit geraumer Zeit. Anfangs tippten sie auf Umwelteinflüsse. Nach dem Einschlag in der Kreidezeit könnten giftige Metalle vom Asteroiden oder Vulkanausbrüche in Südindien die Erholung gebremst haben.

Erst neue Formen, dann neue Arten

Aber diese Hypothese erwies sich als Sackgasse. Also kam man auf eine andere Idee: Vielleicht braucht die Evolution selbst aufgrund der ihr inhärenten Dynamik so lang, bis sie wieder volle Fahrt aufnimmt. Als Modell funktionierte diese Theorie gut, empirisch bewiesen war sie nicht. Bis heute.

Christopher Lowery von der Universität von Texas in Austin und Andrew Fraass von der Uni Bristol haben die fossilen Reste von Einzellern verglichen, die schon damals in fast allen Weltmeeren heimisch waren: Foraminiferen, die als Plankton leben. Die Studie (in Nature Ecology & Evolution, 8. 4.) zeigt: Die Katastrophe traf auch diese winzigen Tierchen hart. Nur drei von 70 Arten hatten in bestimmten Meeresgebieten überlebt. Relativ rasch bildeten sich neue Formen, Eigenschaften und auch einige neue Arten aus. Sie erlaubten es diesem Plankton, sich besser an seine bestehende Umgebung anzupassen.

So kam manches zurück: die stachelige Oberfläche, mit der es anderes tierisches Plankton einfangen kann, oder die Fähigkeit, in Symbiose mit Muscheln oder Korallen zu leben. Aber wirkliche evolutionäre Innovationen, durch die es seit der Katastrophe unbesetzte Nischen und Lebensräume zurückerobern konnte, tauchten erst mit großer Verzögerung auf. Das ist der Beleg für das theoretische Modell: Zuerst muss sich über einen langen Zeitraum der „Speicher“ an Formen und physischer Komplexität neu füllen, bis sich daraus wieder neue Arten im gewohnten Tempo entwickeln können. In diesem Fall brauchte es zehn Millionen Jahre, bis die ursprüngliche Formenvielfalt, und sogar 20 Millionen Jahre, bis die volle Zahl an Spezies wieder erreicht war. Es waren freilich zum Teil ganz neue Arten für ein verändertes Ökosystem.

Wozu aber braucht es die Artenvielfalt? Sie macht das Leben auf der Erde insgesamt widerstandsfähiger, weil das Reservoir an Überlebensstrategien groß genug ist. Nach einem Artensterben ist dieses Reservoir geleert, das Leben verwundbar. Salopp gesagt: Sollte einem ungebremsten Klimawandel in absehbarer Zeit ein Asteroid folgen, sieht es nicht nur für uns Menschen düster aus. Und diese „absehbare Zeit“ ist verdammt lang.

DIE FÜNF MASSENAUSSTERBEN

Das erste große Artensterben der Erdgeschichte fand vor 444 Mio. Jahren statt. Dem „Kellwasser-Ereignis“ vor 372 Mio. Jahren folgte das „große Sterben“ an der Perm/Trias-Grenze vor 252 Mio. Jahren, das fast das gesamte Leben in den Ozeanen auslöschte. Zur Krisenzeit an der Trias/Jura-Grenze vor 201 Mio. Jahren kam es vermutlich durch gewaltige Vulkanausbrüche. Vor 66 Mio. Jahren schlug dann der Asteroid ein (siehe Artikel).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.04.2019)

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