Besteht Wasser tatsächlich aus zwei Flüssigkeiten?

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Symbolbild. (c) APA/dpa/Andreas Arnold (Andreas Arnold)
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Die vielen Anomalien des Wassers lassen sich mit einer über hundert Jahre alten Theorie erklären, bewiesen ist sie aber noch nicht. Innsbrucker Forscher haben in einem aufwendigen Experiment neue Indizien für die „Zweiflüssigkeitstheorie“ gesammelt.

Wasser hat eine lange Liste an Verhaltensauffälligkeiten. Zwei davon dürften den meisten bekannt sein: Friert man es zu Eis, schwimmt diese feste Form in flüssigem Wasser, anstatt zu sinken. Vier Grad kaltes Wasser hat dagegen die höchste Dichte und sinkt zu Boden. Besonders deutlich wird das im Winter bei Temperaturen unter null: Seen sind dann am Grund wärmer als an der Oberfläche, sie frieren von oben nach unten zu, und nicht umgekehrt. „Normalerweise“ würde eine feste Substanz in seiner Schmelze untergehen und Flüssigkeiten umso dichter werden, je stärker man sie abkühlt.

18 verschiedene Eisformen

Neben diesen beiden Dichteanomalien sind noch 72 weitere Eigenheiten des Wassers bekannt, sagt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck. „Sie alle hängen mit der besonderen molekularen Struktur des Wassers zusammen.“ Trotz der augenscheinlich simplen Verbindung aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen ist Wasser zu hochkomplexen Wechselwirkungen fähig, erklärt Lörting.

„Jedes Wassermolekül hat die erstaunliche Eigenschaft, dass es vier Wasserstoffbrückenbindungen zu benachbarten Teilchen ausbilden kann, obwohl es aus nur drei Atomen besteht.“ Bei den Wasserstoffbrücken handelt es sich um Anziehungskräfte zwischen den Bereichen der Wassermoleküle mit niedriger und jenen mit hoher Elektronendichte – sie funktionieren ähnlich wie die gegensätzlichen Pole eines Magnets.

„Mit diesen vier Wasserstoffbrücken können nun die verschiedensten Netzwerke zwischen den Wassermolekülen geknüpft werden. Wir kennen allein 18 verschiedene Formen von Eis, in denen sich das Wasser unterschiedlich anordnet. Was wir im Alltag als Eis bezeichnen, ist nur eine Variante, die anderen entstehen im Weltall oder unter Laborbedingungen. Auch im flüssigen Zustand gibt es unterschiedliche Netzwerke aus Wasserstoffbrücken, nur sind sie in diesem Fall beweglich und bilden sich ständig neu.“

Trennung im Labor

Bereits Wilhelm Conrad Röntgen, der Entdecker der nach ihm benannten Strahlung, vermutete zwei Flüssigkeiten im Wasser, die seine Anomalien erklären, eine mit „eisartigen“, und eine andere mit „fluidartigen“ Eigenschaften. Bis heute ist diese Theorie aktuell, sagt Lörting: „Man geht von einer hochdichten und einer niederdichten Flüssigkeit aus. Das Problem ist nur: In flüssigem Wasser wechselt jedes Molekül eine Milliarde Mal pro Millisekunde zwischen diesen beiden Zuständen hin und her.“ Keine Apparatur der Welt könnte mit derartiger Geschwindigkeit Messungen vornehmen, um die zwei Zustände tatsächlich nachzuweisen.

Doch die Wissenschaftler behelfen sich mit Tricks aus dem Labor: Bei sehr niedrigen Temperaturen und speziellen Druckbedingungen lassen sich die beiden Flüssigkeiten künstlich voneinander trennen. Wasser mit niedriger Dichte konnte bereits Ende der 1980er-Jahre isoliert werden.

Lörting gelang es mit seinem Team nun erstmals, die hochdichte Variante für einen langen Zeitraum zu stabilisieren: „Wir haben bei Temperaturen zwischen minus 120 und minus 150 Grad Celsius und einem Druck von bis zu 3000 Atmosphären hochdichtes Wasser für mehrere Stunden stabil halten können – das ist noch niemandem zuvor gelungen. Damit haben wir diesen Zustand für weitere Experimente zugänglich gemacht.“

So konnten sie bereits mit Röntgenanalysen die Struktur des hochdichten Wassers untersuchen. Kombiniert man die dabei beobachteten Merkmale mathematisch mit jenen des niederdichten Wassers, erhält man exakt jene Struktur, die flüssiges Wasser bei Raumtemperatur aufweist – ein weiteres Indiz, das für die Zweiflüssigkeitstheorie spricht.

In zukünftigen Experimenten würde Lörting gern einen Wechsel der beiden Zustände beobachten: „Schön wäre es, wenn es uns gelänge, bei tiefen Temperaturen zwischen den beiden Flüssigkeiten hin- und herschalten zu können. Also Hochdruckwasser herzustellen und dann anschließend den Druck wegzunehmen, um Niederdruckwasser zu erhalten, das durch Druckerhöhung wieder in den Ausgangszustand springt. So ließe sich quasi in Zeitlupe verfolgen, wie sich flüssiges Wasser im Alltag verhält.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2019)

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