Erstmals wurde ein Kausalzusammenhang bewiesen, auch unabhängig von der Kalorienmenge.
Vegan, „low-carb“, fettarm, proteinreich – oder zurück zum Essen der Steinzeit? Über wenig ist sich der moderne Mensch so unsicher wie über seine richtige Ernährung. Aber auf einen Punkt können sich alle Diätapostel rasch einigen: Industriell verarbeitete Nahrungsmittel, von Chips bis Tiefkühlpizza, sind des Teufels. Sie machen dick, sie machen krank, sie töten. Zumindest in Sachen Fettleibigkeit liegt der Verdacht auch nahe: Seit sich das praktische, billige Essen aus dem Supermarkt verbreitet hat, werden die Menschen im Schnitt immer dicker – besonders ärmere, die oft zu wenig Geld und Zeit zum Selberkochen haben. Aber noch keine einzige der vielen Studien konnte einen kausalen Zusammenhang nachweisen.
Das ist nun US-Forschern des National Institute of Health rund um Kevin Hall gelungen (Cell Metabolism, 16. 5.). Überraschend ist, was sie bei der Suche nach den Gründen entdeckt haben. Meist denkt man ja: Klar macht dieses Zeug dick, es enthält eben mehr Kalorien, Fett und Zucker. Aber solche Faktoren hat man beim aktuellen Experiment neutralisiert. Zwei Gruppen von Probanden bekamen vier Wochen lang Essen vorgesetzt, die einen stark verarbeitetes, die anderen unverarbeitetes. Bei der Zusammenstellung der Menüs sorgte man dafür, dass die Menge der Nährstoffe fast ident war, auch bei Kohlehydraten, Salz und Proteinen.
Schnell gemacht, zu schnell gegessen
Freilich konnten alle so viel essen und trinken, wie sie wollten – und wer Verarbeitetes vorgesetzt bekam, langte kräftiger zu. Was sich im Gewicht niederschlug: im Schnitt ein knappes Kilo mehr in zwei Wochen. In der anderen Gruppe nahmen die Probanden im gleichen Ausmaß ab (danach wurde getauscht, am Ende war es ein Nullsummenspiel). Was aber haben stark verarbeitete Lebensmittel „Magisches“ an sich, dass man mehr von ihnen isst? Weder schmeckten sie den Testpersonen besser, noch waren sie ihnen vertrauter. Sie regten nicht stärker den Appetit an oder bereiteten mehr Befriedigung – womit hier scheinbar auch die oft vermutete Wirkung von Zusatzstoffen (wie Geschmacksverstärker) auszuschließen ist.
Aber einen Unterschied gab es: In der Fertigfutter-Gruppe aß man schneller. Und wie man aus früheren Studien weiß: Wer schneller isst, isst mehr. Der überrumpelte Magen-Darm-Trakt hat nicht genug Zeit, um dem Hirn rechtzeitig zu signalisieren, dass es für ein Gefühl der Sättigung sorgen soll. Und warum rutscht das Essen aus der Fabrik so eilig die Kehle hinunter? Es ist oft weicher, lässt sich leichter kauen und schlucken. Und vielleicht treiben hier doch Zusatzstoffe, wenn auch verborgen, ihr tückisches Spiel. Was lernen wir daraus? Auch wenn wir noch so akkurat auf die Kalorien pro 100 Gramm laut Verpackung achten: Das Frische und Selbstgekochte hält uns doch eher schlank.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2019)