Kinder im Gespräch herausfordern

Zweitspracherwerb. Wann werden Grammatikfehler übernommen und weitergetragen? Wann lösen sie sich in Luft auf?
Zweitspracherwerb. Wann werden Grammatikfehler übernommen und weitergetragen? Wann lösen sie sich in Luft auf? (c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Psycholinguistik. Anouschka Foltz experimentiert mit Hindernissen und Möglichkeiten für den Spracherwerb.

Welche Bedeutung hat die Ausdrucksweise des Gegenübers für die eigene Sprache? Wie wirken sich Satzbau und Terminologie des Gesprächspartners aus? Welche Rolle spielen diese Wirkungen für den Lernerfolg? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Psycholinguistin und Anglistin Anouschka Foltz an der Universität Graz.

Ihre Forschung zum Spracherwerb basiert auf experimentellen Studien. Wie wir uns im Gespräch einem Gesprächspartner anpassen, erklärt sie mit einem simplen Beispiel: „Wenn der Gesprächspartner von einem Sofa spricht und nicht von einer Couch, werde ich ebenfalls von einem Sofa sprechen“, sagt sie. Bereits 2015 hat sie zusammen mit Kolleginnen von der Universität Bielefeld Experimente durchgeführt, in denen die Teilnehmer sich gegenseitig im Rahmen eines Chat-Spiels Anweisungen darüber gaben, wo bestimmte Gegenstände zu platzieren waren. Dabei zeigte sich, dass sich die Spielgeschwindigkeit bei der Benutzung identischer Begriffe erhöhte, aber nicht durch die Verwendung des gleichen Satzbaus. Das bedeutet, der Satzbau spielt für die Geschwindigkeit des Gesprächs keine Rolle.

Sätze sollen herausfordern

In aktuellen Studien will sich Foltz der Frage widmen, inwieweit sich Gesprächspartner aneinander anpassen, und zwar in Syntax, Vokabular und Aussprache, erklärt sie. Ein wichtiger Maßstab ist dabei das Arbeitsgedächtnis, das das Gehörte oder Gelesene kurzfristig speichert und in dieser Zeit auch wieder anwenden kann. „Kinder mit einem großen Arbeitsgedächtnis produzieren häufiger komplexe Strukturen im Satzbau als Kinder mit einem geringeren Arbeitsgedächtnis“, resümiert Foltz ein Ergebnis einer Studie, in der Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung mit sogenannten normal entwickelten Kindern verglichen wurden. Vor diesem Hintergrund spiele es auch eine Rolle, wie Erwachsene mit Kindern sprechen. „Die Forschung weiß, dass es für Kinder vorteilhaft ist, wenn sie herausgefordert werden“, sagt Foltz. „Einfache Sätze, die keine Herausforderung beinhalten, führen nicht dazu, dass Kinder mehr lernen.“

Tests sollten die Frage klären, inwieweit Kinder Relativ- oder Passivkonstruktionen übernehmen, wenn sie vorgegeben werden. Das Ergebnis früherer Studien war, dass Kinder, die häufig mit Passivkonstruktionen konfrontiert werden, diese auch in Nacherzählungen anwenden. Foltz Forschung zeigt ähnliche Ergebnisse für Relativsätze, wenn es um „das rote Auto“ oder „ein Auto, das rot ist“ geht. Kurz gesagt: Kinder übernehmen die Konstruktion, die sie von ihrem Gesprächspartner hören.

„Anders stellt sich dieser Effekt beim Zweitspracherwerb dar“, so Foltz. „Lernende übernehmen nicht automatisch neue Strukturen, denen sie ausgesetzt sind, sondern sind möglicherweise darauf angewiesen, dass diese auch erklärt werden.“ Zumindest gelte das für Erwachsene, bei denen ein grammatikalisches Vorwissen vorausgesetzt werden kann. Funktionierten grammatikalische Strukturen ganz anders als in der Erstsprache, müsse mit einer längeren Lernzeit gerechnet werden, bis diese übernommen werden.

Dialekte und Gebärdensprache

Hier interessiert Foltz, welche Folgen es hat, wenn der Input fehlerhaft ist. Wird im Gespräch zwischen zwei Partnern, die beide in einer Fremdsprache sprechen, der Fehler vom anderen übernommen? Wie hoch muss der Anteil der Fehler sein, damit die Fehler übernommen werden? Foltz: „Wir wissen, dass Kinder auf die richtige Form generalisieren. Ist das auch bei Erwachsenen so?“

Auch der Umgang mit Dialekten spielt für Foltz eine Rolle. „Hier darf die Botschaft des Lehrenden nicht sein: Was du sagst, ist falsch“, erklärt Foltz. „Besser ist, zu erklären, dass es verschiedene Dialekte gibt, Hochdeutsch einer davon ist und alle gleichberechtigt nebeneinander stehen sollten.“

Neben diesen Projekten ist die seit vergangenem Sommer in Graz tätige Wissenschaftlerin noch damit beschäftigt, „Altlasten“ abzuwickeln. Sprich, Projekte zu Ende zu bringen, die sie davor an der Bangor University in Wales mit Gehörlosen durchgeführt hat. „Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Dialekten der Gebärdensprachen und gesprochenen Dialekten“, berichtet Foltz.

Ein Ergebnis ihrer Forschung über den Zugang zu Sprache ist, dass Gehörlose es vorziehen, Veranstaltungen zu sehr persönlichen Themen gemeinsam mit Hörenden wahrzunehmen, wenn sie dort einen Gehörlosendolmetscher zur Verfügung haben. Die Angst vor Klatsch und Tratsch innerhalb der meist überschaubaren Gehörlosen-Community überwiegt hierbei die Bequemlichkeit, eine Veranstaltung in der eigenen (Gebärden-)Sprache wahrzunehmen.

LEXIKON

Das Arbeitsgedächtnis ist eine Funktion des Erinnerungsvermögens, die über das Kurzzeitgedächtnis hinaus zeitlich begrenzt auditive und visuell-räumliche Informationen speichert und aktiv verarbeitet. Dazu werden auch Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen. Im Zusammenspiel mit aktueller Wahrnehmung entsteht etwa eine Information über Satzinhalte. Solche Mechanismen sind u. a. beim Lesen, Kopfrechnen und Erlernen einer Sprache erforderlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2019)

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