Sind Delfine zu klug für Gefangenschaft?

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Die Erkundung der Intelligenz der Tiere in Aquarien hat so beeindruckende Befunde erbracht, dass eine Forscherin das Ende der Forschung fordert – und Freiheit für alle Meeressäuger.

Im Jahr 1998 zeigten zwei Delfine, Tab und Presley, in einem Aquarium in New York eine kognitive Leistung, die man bis dahin nur von Menschen und Schimpansen kannte: Sie erkannten sich selbst in einem Spiegel. Bei solchen „mirror mark tests“ werden Tiere mit Farbflecken bemalt, an Körperstellen, die sie aus eigener Kraft nicht sehen. Aber in einem Spiegel zeigen sie sich. Und wenn die Tiere dann stutzig werden und auch andere sonst verborgene Körperstellen mustern – anstatt den im Spiegel einfach als Artgenossen wahrzunehmen–, schließt man, dass sie ein Bewusstsein von sich selbst haben. „Man“, das waren in diesem Fall die Kognitionspsychologinnen Dianne Reiss und Laurie Marino. Später zerstritten sich die beiden, und heute grüßen sie nicht mehr, wenn sie einander begegnen.

Denn als sie die Experimente Jahre später fortsetzen wollten, waren Tab und Presley gestorben, mit 20Jahren, frei lebende Delfine werden 40. Für Marino war das der Anlass, alle Forschung an gefangenen Delfinen aufzugeben und etwas zu beginnen, was Science „einen Kreuzzug zur Befreiung aller gefangen gehaltenen Delfine“ nennt (Science, 322, S.526). Deren Wert hatte in den frühen Fünfzigern die Unterhaltungsindustrie entdeckt: In den „Marine Studios“ in Florida wurden die Tiere für B-Movies eingesetzt, auch Touristen kamen. Einer von ihnen, der Hirnforscher John Lilly, bemerkte die Intelligenz der Delfine, 1955 begann er mit teils fürchterlichen Experimenten – er hämmerte den Tieren Elektroden ins Gehirn –, aber er studierte auch die vielfältige Kommunikation (und inspirierte die TV-Serie „Flipper“).

Frühe Experimente mit LSD

Dann ruinierte er das von ihm begründete Forschungsfeld wieder, er gab den Tieren LSD, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, er sah in der Sprache der Delfine einen Schlüssel zu der Außerirdischer. 1960 begann die nächste Runde, die US-Navy trainierte Delfine zum Minensuchen, dabei fielen wissenschaftliche Erkenntnisse ab. Die zivile Forschung kehrte 1970 zurück, Lou Herman zeigte auf Hawaii, dass die Tiere künstliche Sprachen verstehen lernen können, Gesten etwa; sie folgen auch dem Deuten mit der Hand auf Gegenstände, das ist eine Fähigkeit, die außer uns nur Hunde besitzen, nicht einmal Schimpansen.

Dem Organ, dem das zu danken ist, hatte sich inzwischen Marino direkt zugewandt. Sie arbeitete nur noch an toten, gestrandeten Delfinen, sezierte die Gehirne und fand, dass sie in ihrer relativen Größe nur von unseren übertroffen wurden. Und sie fand einen komplexen Neokortex, dort sitzen die höheren Fähigkeiten (Science 332, S.1070). Zudem war der Forscherin aufgefallen, dass nicht nur Tab und Presley früh verstarben: 2009 bilanzierte die „World Society for the Protection of Animals“ bei gefangenen Delfinen 5,6 bis 7,4Prozent Tote im Jahr, bei frei lebenden 3,9. Aus beidem schloss Marino, dass die Intelligenz von Delfinen der von Menschen so ähnlich ist, dass sie in Gefangenschaft zugrunde gehen. 2010 arbeitete sie mit an der „Deklaration der Rechte für Meeressäuger“, die ein Verbot des Gefangenhaltens fordert, sie will damit vor die UNO.

Der Rest des Feldes stemmt sich dagegen und fürchtet einen neuerlichen Zusammenbruch wie einst bei Lilly. „Es ist ironisch, dass ausgerechnet die Forschung verboten werden soll, in der sich die Intelligenz der Delfine gezeigt hat“, erklärt Herman, der auch die Sterblichkeitsbilanz stark bezweifelt: „In der Wildnis haben 50Prozent Narben von Haibissen, und das sind nur die, die überlebt haben.“ In Gefangenschaft hingegen haben sie nichts zu fürchten, sie werden gut versorgt, auch medizinisch.

Freilandbeobachtung als Alternative?

Offenbar fühlen sie sich auch nicht unwohl, ergänzt Dorian Houser, der in einem Labor der Navy forschte, das vom offenen Meer nur durch ein leicht überspringbares Netz getrennt war: Kein Delfin nahm diesen Weg. Aber manche Forscher nehmen ihn: Denise Herzing (Florida) beobachtet seit Jahren nur im Feld. Und Marino will versuchen, den Spiegel-Trick dort zu reproduzieren. „Die Beweislast liegt bei ihr“, erklärt Richard Connor (University of Massachusetts), der von einem Haltungsverbot das Schlimmste befürchtet: „Was Marino will, würde die Kognitionsforschung an Delfinen töten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2011)

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