"Cognitive Science": Wie Gedanken in den Kopf kommen

Gedanken Kopf kommen
Gedanken Kopf kommen(c) AP (HERIBERT PROEPPER)
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Die Anfang 2011 ins Leben gerufene Forschungs- plattform "Cognitive Science" an der Universität Wien stellt den Wahrnehmungs- und Denkapparat in den Mittelpunkt der Untersuchungen - und zwar bei Menschen und bei Tieren.

Woran denken Sie gerade? Dass Sie diesen Artikel noch lesen und dann das Mittagessen kochen? Dass Sie Ihre Freundin anrufen sollten? Oder dass Sie eigentlich schon aufbrechen müssen, um nicht das Treffen mit Ihren Freunden zu verpassen? Gedanken, die Ihnen spontan in den Sinn kommen.

Doch wie kommen die Gedanken in Ihren Kopf? Vielleicht haben Sie gerade vor einer Minute wieder den Notizzettel gesehen, auf dem steht, dass Sie Ihre Freundin zurückrufen sollen? Aber wie wird aus dem Zettel und den Buchstaben darauf die Handlung, dass Sie zum Hörer greifen und Ihre Freundin anrufen – oder dass Sie sich denken, dass Sie dafür jetzt eigentlich gar keine Zeit haben?

In bestimmten Arealen in Ihrem Gehirn feuern Neuronen und werden Erregungen von Nervenzelle zu Nervenzelle übertragen. Wie jedoch daraus Gedanken oder Erinnerungen entstehen, ist noch immer eines der großen Rätsel der Wissenschaft. „Ein eindeutiger Fall für die Kognitionswissenschaft“, freut sich Markus Peschl, Kognitionswissenschaftler und Wissenschaftstheoretiker an der Universität Wien, der das Forschungsfeld „Cognitive Science“ an der Uni Wien initiiert hat und weiterhin maßgeblich prägt.

Als Peschl in den 1990er-Jahren als Postdoc an die University of California in San Diego ging, lernte er dort eines der weltweit ersten Departments für „Cognitive Science“ kennen und schätzen. Mittlerweile ist die Kognitionswissenschaft ein anerkanntes Studien- und Forschungsfach in den USA, Großbritannien, Australien und den Niederlanden.

Es handelt sich dabei um ein interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit geistigen Prozessen wie Denken, Gedächtnis, Sprache oder Lernen beschäftigt. Es beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Geist, sondern berücksichtigt auch Motivation oder Emotion – wobei typischerweise mehrere Disziplinen wie die Psychologie, Neurowissenschaften, Informatik, Linguistik, Philosophie, Anthropologie oder die Soziologie zusammenarbeiten.

Diesen jungen Forschungsansatz hat Peschl – wieder nach Wien zurückgekehrt – aus den Vereinigten Staaten mitgebracht. „Seit ungefähr zehn bis 15 Jahren hält die Kognitionsforschung auch in Europa Einzug, während im anglo-amerikanischen Raum schon auf eine jahrzehntelange Tradition zurückgegriffen werden kann“, erklärt der Forscher.


Großer Meilenstein. Zunächst gründete der Kognitionswissenschaftler den Verein „Austrian Society for Cognitive Science“, organisierte Fachkongresse und hielt Lehrveranstaltungen dazu ab. Ein Meilenstein war die Einführung eines kognitionswissenschaftlichen Master-Programms an der Universität Wien, an dem mittlerweile sechs mitteleuropäische Universitäten beteiligt sind: das „Middle European interdisciplinary master programme in Cognitive Science“, kurz: MEi: CogSci.

Seit Anfang des Jahres wurde dieser Schritt noch mit einer eigens ins Leben gerufenen Forschungsplattform „Cognitive Science“ gekrönt, die er gemeinsam mit Helmut Leder, Vorstand des Instituts für psychologische Grundlagenforschung, in den kommenden drei Jahren leiten wird. Forschungsobjekt ist dabei der Wahrnehmungs- und Denkapparat. „Wir werden uns drei Schwerpunkten widmen“, so Peschl über ihre ambitionierten Ziele. Der erste wird sich mit Kognitionsbiologie befassen. Dort werden die Kognitionsleistungen von Mensch und Tieren verglichen. Die Kognitionsbiologen, die seit langem in der Wiener Althanstraße forschen, allen voran Tecumseh Fitch, Thomas Bugnyar und Ludwig Huber, führen dazu vergleichende Studien an Kolkraben, Tauben, Keas und Hunden durch. Ihre Arbeiten bauen auf einer Tradition an der Uni Wien auf, die bis zu Konrad Lorenz und Rupert Riedl zurückreicht. Hier geht es vor allem um visuelle und soziale Kognition sowie um die Evolution von Wahrnehmung im Allgemeinen. „Von den Tieren und ihrem Verhalten erlangen wir neue Perspektiven, die weit über die klassische Psychologie hinausgehen“, erklärt Peschl. „Wenn wir Tiere genauer verstehen, verstehen wir uns auch selber besser. Und das ist ja unser großes Anliegen.“

Das zweite Betätigungsfeld der Forschungsplattform nimmt die Wahrnehmung von Kunst ins Visier. „Eye Tracking“ heißt die Methode, mit der der Psychologe Helmut Leder gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Raphael Rosenberg in einer interdisziplinären Kooperation diesem Thema Antworten entlocken will. Dabei werden von einem Messgerät die Augenbewegungen von Bildbetrachtern registriert. Wie lassen die Probanden ihre Augen über ein bestimmtes Bild schweifen? Wohin richten sie ihren Blick? Die Bewegungsanalysen zeigten, dass Gesichter dabei die eindeutigen Gewinner sind, gefolgt von hellen und farbigen Stellen sowie Punkten, die eine besondere Bedeutung haben. Darin stimmten 20 Versuchsteilnehmer, die Pieter Bruegels „Blindensturz“ betrachteten, überein. Die Emotionen, die beim Betrachten entstehen, werden anhand der Bewegungen der Gesichtsmuskulatur untersucht. Das Überraschende: Laien und Experten zeigen die gleichen Emotionen, unterschieden sich jedoch in ihrer Bewertung. Experten finden auch Bilder, die sie eigentlich emotional als abstoßend empfinden, als ästhetisch.

Experten sind bei der Bildbetrachtung jedenfalls viel zielsicherer und schneller. Ihr geschulter Blick lässt sie die wesentlichen Elemente viel schneller erfassen, während der Blick der Laien scheinbar orientierungslos über das Bild wandert.


Räume für das Wissen. Beim dritten Schwerpunkt stehen „Kognition, Sprache und Kreativität“ im Mittelpunkt. Wie entsteht Wissen? Das ist eine der zentralen Fragestellungen. Wie müssen Räume gestaltet sein, in denen Wissen generiert werden soll und in denen Menschen kreativ tätig sein werden? „Darunter fällt beispielsweise der Bereich des ganzen Office-Design“, erläutert Peschl, „wobei für die Architekten und Raumdesigner nicht nur ästhetische Fragen im Vordergrund stehen sollten, sondern ebenso die Wissens- und Innovationsprozesse – und auch, wie die emotionalen und sozialen Strukturen aussehen.“ Dient das Büro nur mehr zum Abholen von Informationen, für die Treffen der Projektgruppen oder wird fast der ganze Arbeitsalltag darin verbracht? All das stellt unterschiedliche Anforderungen an einen Raum.

Dabei begibt sich der Kognitionswissenschaftler mit seinem Team direkt in die angewandte Forschung. „Wir haben zum Beispiel gemeinsam mit Architekten ,Wissensarchitektur-Konzepte‘ für den Neubau der Zeppelin Universität in Friedrichshafen entwickelt.“ Die Wissenschaftler haben dafür sogenannte Enabling Spaces geschaffen, Räume, die viel Kommunikation zulassen und die Entwicklung neuen Wissens unterstützen.

„Das Gehirn ist für uns eine leicht geöffnete Black Box“, so Peschl. „Wir verstehen nicht wirklich, was darin vor sich geht.“ Die neue Forschungsplattform hilft hoffentlich dabei, in den folgenden Jahren ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Kognition

Der Begriff „Kognition“ wird uneinheitlich verwendet: Grob gesagt geht es um Informationsverarbeitung. Das umfasst die Prozesse, die beim Denken und Erinnern ablaufen, ebenso wie unbewusste Vorgänge im Gehirn, wie unbewusstes Lernen.

Die Forschungsplattform„Cognitive Science: Entwicklung der Kognition“ an der Uni Wien entstand nicht aus einem Forschungsprojekt, sondern aus der Lehre heraus: nämlich aus dem internationalen interdisziplinären Master-Programm „MEi: CogSci“, das gemeinsam von Uni Wien, Medizin-Uni Wien sowie Universitäten in Bratislava, Ljubljana, Budapest und Zagreb getragen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2011)

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