Affengenom zeigt: Das Y-Chromosom verfällt doch nicht

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Seit mindestens 25 Millionen Jahren verliert das männliche Geschlechtschromosom (fast) keine Gene mehr. „Diese Arbeit zerstört die Vorstellung des verschwindenden Y-Chromosoms“, sagt der US-Biologe David Page.

„In ungefähr zehn Millionen Jahren wird sich das Y-Chromosom selbst zerstört haben“: Zu solchen Sätzen ließen sich (männliche) Autoren 2003 in der seriösen Wissenschaftszeitschrift Nature hinreißen, und der populäre New Scientist trug noch dicker auf: „Männer steuern auf die Ausrottung zu.“ Das zumindest war ein Blödsinn, denn viele Tiere haben keine Geschlechtschromosomen; bei Krokodilen z.B. bestimmt die Temperatur das Geschlecht.

Aber bei Menschen gibt es X- und Y-Chromosomen, und bei den meisten Säugetieren auch. Sie sind vor circa 300 Mio. Jahren (noch in einem Reptil) aus einem „normalen“ Chromosomenpaar entstanden und entwickeln sich seither auseinander: Immer kleinere Teile des Y tauschen sich bei der Entstehung der Keimzellen im „Crossing-over“ – das für die sexuelle Fortpflanzung essenziell ist – mit einem X aus, zugleich wird das Y immer kleiner und ärmer an Genen. Denn wenn dieser Austausch fehlt, können schädliche Mutationen nicht korrigiert werden. (Das X hält sich, weil es in den Zeiten, in denen es sich in weiblichen Zellen aufhält, sehr wohl ein Pendant hat.) Von 600 Genen hat das Y im Lauf der Zeit die meisten eingebüßt, heute hat es nur noch 19. Viele der aus dem Y verschwundenen Gene sind dabei auf andere Chromosomen gewandert, wo sie sicherer sind.

„Crossing-over“ mit sich selbst?

Der US-Biologe David Page hat die Schritte dieser Entwicklung erforscht. „Das Y war am Anfang im freien Fall“, sagt er jetzt, „es hat mit unglaublicher Geschwindigkeit Gene verloren. Aber dann hat sich das beruhigt, und seither geht es ihm gut.“ Das belegt eine neue Arbeit (Nature, online 23.2.), in der das Y des Rhesusaffen mit dem des Menschen verglichen wurde. Der letzte gemeinsame Vorfahre dieser beiden Arten lebte vor ungefähr 25 Millionen Jahren. Seither hat das menschliche Y ein Gen verloren, und das Y des Rhesusaffen gar keines, sagen die Forscher.

„Diese Arbeit zerstört die Vorstellung des verschwindenden Y-Chromosoms“, sagt Page. Wieso dessen Verfallsprozess aufgehört hat, behandelt die neue Arbeit kaum. Denkbar wäre, dass die letzten Gene auf dem Y so wichtig sind – meist für die Männlichkeit –, dass jede Veränderung schnell aus dem Genpool verschwindet. Eine andere These hat Page schon 2003 vorgeschlagen: Erstaunlich viele DNA-Passagen auf dem Y sind Palindrome, lesen sich also von vorne und hinten gleich (wie Anna, Otto oder der Satz „Nie solo sein“). Das spricht dafür, dass sie sich bisweilen mit sich selbst austauschen und sich dadurch erfrischen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2012)

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